Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
Kind, das aller Blut trägt, ist kein Kind der Gewalt und des Hasses. Hörst du, Mutter, hörst du? Es ist ein Kind der Liebe.«
    Hawisa sah Mathilda an und rang noch einmal nach Luft. Es war ihr letzter Atemzug.
    Hasculf hatte die Kälte immer gehasst. Zwar hatte er die Sehnsucht unterdrückt, ihm möge einmal warm werden, und die Hoffnung begraben, er könnte diese Wärme bei Mathilda finden, aber auch vermeintliche Härte und Gleichgültigkeit hatten den tiefen Hader in ihm nicht ausmerzen können.
    Jetzt wurde ihm warm, sehr warm. Er schwitzte, als er kämpfte, und er kämpfte auch dann noch, als es sinnlos wurde: Sie waren nur ein Dutzend Krieger, die den Wall bewachten. Mehr als doppelt so viele waren wie aus dem Nichts gekommen und hatten den Innenhof gestürmt – kräftigere, weil sattere Männer, die obendrein wendigere Pferde und schärfere Waffen besaßen.
    Vielleicht waren alle Kämpfe in seinem Leben sinnlos gewesen, vielleicht sein Leben als Ganzes auch. An Rögnvaldr, seinen Onkel, würde man sich erinnern. Dieser hatte immerhin ein Reich geschaffen, auch wenn es nur ein kurzlebiges gewesen war. Er selbst jedoch hatte nichts anderes getan, als sich an den Trümmern dieses Reichs kaputtzuschleppen, um am Ende doch kein Haus daraus zu errichten, nicht einmal eine stabile Mauer. Eben wurden die Trümmer in noch kleinere, unbrauchbarere Stücke zerschlagen. Nie wieder würden sie ein Ganzes werden. Nie wieder würde er ein Ganzes werden – nun, nachdem ihm jemand die Hand abgeschlagen hatte.
    Er starrte darauf, aber fühlte keinen Schmerz, fühlte nur das Blut aus dem Stumpf schießen. Er sank auf die Knie, er schwitzte nicht mehr. Warum musste er sterben, um zu begreifen, dass der Tod mehr Wärme schenkte als das Leben? Mehr Wärme sogar als Mathilda?
    Noch konnte er seine Augen offen halten und erkennen, dass sie dort hinten bei Hawisa hockte. Er fühlte sich zu schwach, um sich gegen die Sehnsucht zu wehren – die Sehnsucht danach, dass sie bei ihm saß, seine noch heile Hand hielt, mit ihrer weichen Haut seine raue berührte, das Kleid aus Stein, das er all die Jahre zu tragen hatte, von seinem Körper zerrte und das, was darunter war, mit Küssen übersäte und erweichen ließ.
    Das Bild begann zu flimmern. Sie würde nicht zu ihm kommen und bei ihm hocken, und er konnte der Trauer darüber nichts entgegensetzen. Ehe das Blut erkaltete, ehe er den Schmerz in seinem Armstumpf spürte, ehe der Druck auf die Brust übermächtig wurde, hob jemand über ihm sein Schwert und schlug ihm den Kopf ab.
    Mathilda wusste später nicht mehr, wie lange sie neben dem Leichnam ihrer Mutter gehockt hatte. Hinter ihr tobte der Kampf zwischen Hawisas Männern und jenen, die Bernhard gesandt hatte, Krieger flüchteten oder starben, doch sie hatte keine Angst, inmitten des Getümmels von einer Waffe getroffen zu werden. So wie Hawisas Seele in eine andere Welt eingegangen war, wähnte sie sich an einen fernen Ort verbannt, in dem vergangener Schmerz nicht zählte und künftiger Lebenskampf noch keine Kräfte erforderte.
    Die große Stille nach dem Kampf war es, die Mathilda wieder zurück in die Wirklichkeit brachte. Sie blinzelte, blickte sich um, als erwachte sie aus einem langen Traum, und sah die vielen Toten. Die meisten Gesichter waren grausam verzerrt, nur das von Hawisa erschien so sanft, als würde sie schlafen, und so weich, als wäre es aus Wachs.
    »Gott schenke dir Frieden, Mutter«, murmelte Mathilda.
    Sie erhob sich, blickte ein letztes Mal auf die Tote herab und wusste, dass sie keine Träne um sie weinen würde. Ihre Trauer war tief und ehrlich, aber sie galt nicht der alten Frau, die vor ihr lag, sie galt dem jungen Mädchen, das jene einst gewesen und das lange zuvor gestorben war. Neben der Trauer fühlte sie vor allem Dankbarkeit – dafür, dass es ihr erspart geblieben war, die eigene Seele brechen zu sehen, und dafür, dass das Leid, das sie erfahren hatte, sie am Ende stärker hatte werden lassen, anstatt sie zu zerstören. Es war nichts, worauf sie stolz sein konnte, kein eigenes Verdienst, vielmehr eine Gnade, die ihr geschenkt wurde – von der willkürlichen Vorsehung, die manche Bäume morsch werden lässt und andere erblühen.
    Schritte ließen Mathilda zusammenzucken. Sie fuhr herum, doch da hatte sich der, der sich ihr genähert hatte, schon zu ihren Füßen niedergeworfen.
    »Gott ist gnädig, ich bin nun frei!«, rief Bruder Daniel, bekreuzigte sich hastig und setzte angstvoll hinzu:
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher