Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
Messer mitten ins Herz.
    Mathilda vermeinte, selbst die Klinge zu spüren, die sich in die Haut bohrte, im warmen Fleisch stecken blieb und das Leben der Frau vernichtete, die ihre Mutter war. Der Leib ihrer Mutter und der eigene wurden eins. Sie durchlitt ihre Qualen, fühlte den Schmerz durch alle Glieder schießen und das warme Blut sprudeln, rang wie sie nach Luft. Sie wusste, was Hawisa empfand. Sie wusste nur nicht, ob sie ihr in diesem Augenblick vergab oder sie verfluchte.
    Hawisa sank auf ihre Knie, fiel dann zu Boden. Mathilda hob die Hände, um die Krieger abzuhalten, noch näher zu kommen, dann beugte sie sich zu ihrer Mutter herunter. Dieser Augenblick gehörte ihnen beiden, sonst niemandem. Sie wagte nicht, erneut Hawisas Hände in die ihren zu nehmen, sie wollte nicht fühlen, wie sie langsam erkalteten, aber sie musste etwas tun – für sie und für das Heil der eigenen Seele.
    Mathilda fiel nichts anderes ein, als zu beten. In ihr Murmeln mischte sich plötzlich ein anderer Laut. Sie hatte Hawisa schon für tot gehalten, aber eine, die sich jahrzehntelang an einer sinnlosen Hoffnung festkrallt, stirbt nicht schnell. Noch atmete sie. Noch hatte sie die Kraft zu reden.
    »Ich … werde nicht in den Himmel kommen«, brachte sie hervor. »Ich … werde die Straße nach Hel gehen. Sie führt … Richtung Norden, wo es immer dunkler und kälter wird, und sie führt … durch tiefe Täler und Gebirge. Irgendwann gibt es keine Berge mehr, irgendwann … gibt es kein Licht mehr. Nur das ewige Eis.«
    »Nein«, sagte Mathilda da, und in ihrer Stimme regten sich Trotz und Empörung.
    Ein dunkler Schleier schien sich über sie und ihre Mutter zu senken, vom Todesengel auf sie hinabgeworfen, um alles zu ersticken – Hawisas letztes Aufbegehren gegen das Sterben, Mathildas Wunsch nach Versöhnung. Aber der Todesengel sollte nicht das letzte Wort haben, er durfte keine alleinige Macht haben, mit ihm mussten doch noch andere Engel kommen, um die Dämonen zu bannen und die Seele ins Licht zu führen.
    »Nein!« Mathilda schrie nun. »Du wirst nicht in Dunkelheit und ewiges Eis eingehen, nicht für immer. Gott ist gnädig, Gott ist freundlich!«
    Hawisa rang nach Luft. »Das einzige Licht, das scheint«, brachte sie röchelnd über die Lippen, »kommt vom Feuer. Der Fenrir-Wolf … speit es aus Augen und Nüstern, wenn die Welt … im Chaos versinkt. Dies ist das Geschick der Welt. Dies ist … mein Geschick … und deines auch. Du bist … kein Kind der Liebe, sondern … ein Kind des Feuers. Als dein Vater … über mich kam, hat es sich angefühlt, als würde ich zerreißen und verbrennen … und zu Asche zerfallen. Danach … ist es nie wieder warm geworden, nie wieder hell.«
    Mathilda ergriff nun doch Hawisas Hand. Sie glich nicht länger einer Klaue, vielmehr der des eher jungen Mädchens, das sie gewesen sein musste, als Rögnvaldr über sie herfiel.
    »Du musst Rögnvaldr vergeben«, sagte sie leise. »Und du musst dir vergeben, dass du dir eingeredet hast, ihn zu lieben.«
    »Man sagt, die Liebe … ist stark wie der Tod, aber ich sterbe, und … es ist kalt und finster.«
    »Vergib ihm, Mutter! Vergib ihm und dir selbst!«
    »Er war gut zu dir … zu mir war er es nicht. Ich war für ihn nur … Kriegsbeute. Wenn ich ihm nicht zu Willen war, hat er mich geschlagen, und wenn ich … um meinen Vater trauerte, hat er gelacht. Aber wenn ich zugegeben hätte, ihn zu hassen … was wäre von mir geblieben als eine geschundene Seele, so klein, so schwach? Das konnte doch nicht sein … das wollte ich nicht.«
    »Aber jetzt darfst du klein und schwach sein«, sagte Mathilda eindringlich. »Zumindest jetzt.«
    Hawisa keuchte. Mit letzter Kraft hob sie die Hand, umklammerte den Knauf des Messers, mit dem sie sich selbst verwundet hat.
    »Ich … ich habe oft gegen jemanden die Hand erhoben. Aber ich habe nie jemanden getötet. Ich … wollte immer wissen, wie es sich anfühlt. Wie es gewesen wäre, ihn zu töten. Und hinterher mich. Warum habe ich zu lange damit gewartet? Warum … habe ich es nicht getan?«
    »Es war gut, dass du es nicht getan hast«, sagte Mathilda. »Du hast mir das Leben geschenkt, und dafür danke ich dir. Und jetzt werde ich das Leben weitergeben: Ich bekomme ein Kind von Arvid. Vielleicht ist die Liebe nicht stark wie der Tod, aber das neue Leben ist es. Es gab so viel Hass, so viel Gewalt – zwischen dir und Rögnvaldr und zwischen Arvids Vater und seiner Mutter Gisla – aber dieses
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher