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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers
Autoren: Julia Kröhn
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Dökkur los. Er trug kein Schwert wie Hasculf, aber ein kleines Messer, mit dem er Fleisch und Brot schnitt. Es war stumpf, womöglich würde es nicht genügen, ihn zu töten, sie riss es dennoch von
    seinem Gürtel. Wenn er noch Augen hätte, sie würde sie ihm ausstechen. Wenn er noch ein Mann war, sie würde ihn kastrieren. So aber wusste sie nicht, wie sie ihm noch zusetzen konnte.
    Ehe Hawisa sich entscheiden konnte, hörte sie Bruder Daniel rufen. Er war also im Wall geblieben, anstatt vor ihr zu fliehen. Welch ein Feigling. Welch ein Schwächling.
    »Eine Truppe!«, schrie er. »Krieger rücken heran, auf Pferden und mit Waffen.«
    »Wer sind sie? Turmods Männer?«
    »Es sieht nicht so aus. Sieh selbst.«
    Er machte eine dienernde Bewegung, und sie trat an ihm vorbei zum Tor des Walls. Es war zu spät, es zu schließen, sie wollte es auch gar nicht schließen lassen, denn es kamen nicht nur Krieger geritten, sondern auch … sie. Mathilda.
    Sie versank in ihren Anblick. Da war plötzlich keine Verbitterung mehr, kein Wahnsinn, kein Schmerz. Meine Tochter, dachte sie, meine Tochter hat Tränen in den Augen.
    Damals, in jener Nacht, als Rögnvaldr über sie hergefallen war, hatte sie auch geweint. Später hatte sie keine Tränen mehr gehabt, nicht einmal, als sie sich von Mathilda hatte trennen müssen. Eirinn hatte für sie geweint.
    Mit steifen Gliedern trat Hawisa auf ihre Tochter zu. Noch blieben die Krieger auf den Pferden, einzig Mathilda sprang ab. Sie war nicht zart wie das Kind von einst, sie war jetzt eine starke Frau. Vielleicht hätte sie den Stolz bewiesen, von dem Dökkur gesprochen hatte. Den Stolz, den sie aufgegeben hatte, als sie sich Rögnvaldr unterwarf.
    »Du musst doch nicht weinen«, begann Hawisa mit zitternder Stimme zu sprechen. »Du nicht. Wenn du auf meiner Seite stehst, droht dir nichts Böses von Nordmännern. Dann bist du eine von ihnen – und einer solchen tun sie keine Gewalt an. Du bist nicht hilflos, du bist nicht schutzlos. Du bist die Erbin, Alanus’ und Rögnvaldrs Erbin. Dich werden sie nicht in den Staub treten wie seelenloses Vieh. Du musst nicht deine Seele verkaufen und zusehen, wie Fremde sie zerreißen, nur um zu überleben.«
    Sie war auf Mathilda zugetreten, umklammerte erst ihre Hand, umarmte sie dann. »Du bekommst den Mann, den du liebst, nicht einen, der dich schändet. Du musst dein eigen Blut nicht hassen wie ich meine Schwester und meinen Neffen, weil ich zu viel von diesem Blut habe fließen sehen. Du kannst glücklich werden.«
    Mathilda machte sich los. Sie weinte nicht mehr, und da erst erkannte Hawisa, dass die Krieger Normannen waren und Mathilda sie nicht zu ihr geführt hatte, um sich ihr anzuschließen.
    Mathilda hatte sie verraten.

X.
    Mathilda nahm erst die eine Hand, dann die andere. Es waren dürre, raue Hände, die Klauen glichen, aber dennoch warm waren. Bis jetzt war ihr Hawisa mehr wie ein ruheloser Geist erschienen, nun sah sie die Frau aus Fleisch und Blut in ihr, nicht getrieben von blinder Herrschsucht und Wahn, sondern voller Gefühle, die sie kannte und teilte. Sie erwiderte ihren Blick, sah erst Verstehen aufblitzen, dann Enttäuschung, schließlich Angst. Sie sah einen Menschen. Und fühlte sich in diesem Augenblick, da sie zur Verräterin wurde, mehr als ihre Tochter als je zuvor.
    »Es ist zu spät, Mutter.«
    Hawisa machte sich von ihr los, blickte sich um und betrachtete die vielen normannischen Krieger, die nun den Wall erstürmten. Ein Stöhnen entwich ihrem Mund, kein Schrei. Sie klang resigniert, nicht überrascht. Sie wusste jetzt, dass Mathilda sie nicht retten und aus ihrem zerstörten Leben kein heiles machen konnte.
    »Ich bin nicht die Erbin der Bretagne«, erklärte Mathilda mit gesenktem Blick. »Ich bin zwar die Tochter eines Nordmannes – aber die Nordmänner sind in der Normandie allesamt zu Christen geworden, und das bin ich auch. Sie haben ihre Heimat verlassen und sich eine neue erobert. In dieser Welt lebe ich. Mit einem Mann, den ich liebe: Arvid.«
    Mathilda hob den Kopf und sah ihre Mutter an. Was sie sah, ließ sie erstarren: Hawisa hielt ein Messer in der Hand, kurz blitzte wieder jener Wahnsinn in ihren Augen auf, und Mathilda erwartete voller Entsetzen, dass sie sie mit ins Verderben reißen würde.
    Doch dann erkalteten die Augen wieder, und zurück blieb nichts als Überdruss.
    »Mathilda …«, murmelte Hawisa. »Mathilda …«
    Und mit dem Namen der Tochter auf den Lippen stieß sie sich das
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