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Keine Lady ohne Tadel

Keine Lady ohne Tadel

Titel: Keine Lady ohne Tadel
Autoren: Eloisa James
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und musterte sie scharf. »Du bist meine Lieblingsnichte …«
    »Ich bin deine einzige Nichte«, berichtigte Esme sie.
    »Eben darum. Und deshalb möchte ich dir raten, dein Leben in Angriff zu nehmen, anstatt es geschehen zu lassen und dich darüber zu beklagen. Es ist nicht so, als ob ich etwas gegen deine Mutter hätte, nein, ich liebe sie als Schwester. Du aber stehst mir näher, und so ist es immer schon gewesen.«
    Sie wandte sich wieder ihrem Spiegelbild zu. »Das Einzige, was mir am Altern sehr missfällt, sind die Falten. Aber ich setze große Hoffnungen in diese neue Mandelcreme! Der italienische Apotheker versicherte mir, dass die Haut davon so zart wird wie die eines Babys! Sobald dein Kind zur Welt kommt, haben wir ja einen brauchbaren Vergleich zur Hand. Denn ich habe seit Jahren keine Babys mehr zu Gesicht bekommen. Woher soll ich also wissen, wie ihre Haut aussieht?«
    »Es freut mich, dass mein Zustand dir von Nutzen ist«, sagte Esme mit einiger Schärfe.

2
    Eine Damenrunde … mit einem Hahn im Korb
    Stephen Fairfax-Lacy band sein Halstuch zu einem komplizierten Knoten und fragte sich zum hundertsten Male, was in aller Welt er, während das Unterhaus tagte, auf einer ländlichen Gesellschaft zu suchen hatte. Im Übrigen war es nicht einmal eine richtige Gesellschaft. Lediglich eine Schar entarteter Weiber im Hause der berüchtigten Esme Rawlings, und während er hier weilte, verpasste er zweifelsohne wichtige Reden zu den Korngesetzen. Castlereagh erwartete, dass er den Verlauf der Sitzungen im Auge behielt, während sich der Außenminister auf dem Wiener Kongress befand, wo Europa wie eine Schnepfenpastete in handliche Stücke zerteilt wurde. An der kanadischen Grenze zu den verfluchten amerikanischen Kolonien – Verzeihung, ehemaligen Kolonien – braute sich Unheil zusammen, ganz zu schweigen von drohenden Volksaufständen gegen die Korngesetze. Er hatte das deutliche Gefühl, dass es schon bald zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen würde, wenn die Bevölkerung gegen die steigenden Lebensmittelpreise protestierte.
    Doch Stephen Fairfax-Lacy war im Lauf der zehn Jahre, in denen er für das Wohl des einfachen Mannes kämpfte, der Parlamentarierarbeit müde geworden. Um gewählt zu werden, hatte er sich mitnichten auf den Titel gestützt, den er als Nachfolger seines Cousins Camden, des Herzogs von Girton, trug. Nein, ins Unterhaus war er aufgrund seiner Verdienste gewählt worden. Aufgrund seiner tiefsten Überzeugungen.
    Und wo waren seine Überzeugungen jetzt? Zehn Jahre zähen Ringens um Korn- und Flurbereinigungsgesetze hatten Stephen jeglicher Leidenschaft beraubt. Jahrelang hatte er seine eigene Partei davon zu überzeugen versucht, ihre Position hinsichtlich der Parzellierung der Allmende zu überdenken. Vor sechs Jahren hatte er ein glühendes Veto gegen eine geplante Flurbereinigung eingelegt. Inzwischen wurden derartige Gesetzesvorschläge wöchentlich vorgelegt. Er konnte sich kaum noch dazu bringen, seine Stimme abzugeben. Was auch immer er tat, mehr und mehr Familien wurden mit Gewalt von ihrem Ackerland vertrieben, damit reiche Grundbesitzer Zäune ziehen und Schafe züchten konnten. Stephen hatte versagt.
    Er zerrte sich die hoffnungslos zerknitterte Krawatte vom Hals. Für gewöhnlich konnte er einen simplen
Trône-d’amour
-Knoten in weniger als acht Minuten binden, doch heute Abend war es ihm bereits zweimal misslungen. »Verzeihung, Winchett«, sagte er zu seinem Kammerdiener, der ihm ein frisch gestärktes Tuch reichte.
    Einen Augenblick betrachtete sich Stephen im Spiegel, während er das gestärkte Tuch mit geschickten Bewegungen knotete. Wenn auch dieser letzte Versuch, den
Trône d’amour
zu knüpfen, von Erfolg gekrönt war … von seinem Leben konnte er das gewiss nicht behaupten. Zunächst einmal fühlte er sich alt, mit seinen dreiundvierzig Jahren bereits zum alten Eisen gehörig. Und einsam dazu, verflixt noch mal. Stephen kannte auch den Grund dafür. Es lag daran, dass er Cam besucht hatte. Sein Cousin war mit seiner Gemahlin vor Kurzem aus Griechenland zurückgekehrt. Die Herzogin war eine strahlende, kluge Person, die gerade ihr erstes Kind erwartete. Und Cam – der zu dieser Ehe gezwungen worden und zehn Jahre vor ihr geflohen war, indem er sich in Griechenland versteckte –, dieser Cam barst nun schier vor Stolz.
    Gina und Cam bildeten eine Gemeinschaft, die Stephen seine Einsamkeit umso stärker empfinden ließ. Er hatte erlebt, wie Gina, die
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