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Keine Gnade

Keine Gnade

Titel: Keine Gnade
Autoren: Daniel Annechino
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herumlungerten. Nun war aber mit renovierten Hotels, Jazzclubs, schicken Boutiquen und Straßencafés – einmal ganz abgesehen vom PETCO Park, dem neuen Baseball­stadion der San Diego Padres – neues Leben in das Viertel eingezogen, und es brummte nur so vor Geschäftigkeit.
    Julian hoffte, dass er mit seinen zweiundvierzig Jahren seinen Charme noch nicht verloren hatte. In früheren Jahren hatte er Frauen geradezu magnetisch angezogen. Im College konnte er sich darauf verlassen, mit seinem Lächeln und seinen lebhaften blauen Augen eine willige Begleitung zu finden. Aber das war zwanzig Jahre her, und kein Mann kann seine jugendliche Erscheinung für immer bewahren. Außerdem hatte er längst nicht mehr die Statur eines Athleten.
    Er nahm Augenkontakt mit einer blonden Frau auf, die ein paar Barhocker weiter saß, setzte sein bestes Lächeln auf und hoffte, sie würde darauf reagieren. Seit mehr als zehn Jahren war er verheiratet und hatte nicht die leiseste Ahnung, wie man Frauen in einer Bar anmachte. Die Blondine war offensichtlich schüchtern, denn sie schaute weg, nahm einen Schluck von ihrem Martini und unterhielt sich weiter mit einer anderen Frau. Als sich ihre Blicke wieder trafen, nahm er sein Glas und prostete ihr zu. In den nächsten ­Minuten sah er regelmäßig zu ihr hin und ertappte sie dabei, wie auch sie hinübersah und einem unschuldigen Flirt offenbar nicht abgeneigt war.
    Er wartete geduldig, dass sie auf ihn zukam. Er war völlig in Gedanken versunken, als ihn schließlich jemand sachte an der Schulter berührte, und als er sich umdrehte, war er erleichtert, die Blondine zu sehen, die sichtlich nervös war.
    Â»Ich hatte gehofft, dass Sie rüberkommen würden«, sagte er und war erfreut, dass sie jung, relativ schlank und gesund zu sein schien. Er hätte am liebsten zu ihr gesagt: »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Ihr Herz mit einem Stethos­kop abhöre, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung ist?«
    Â»Tatsächlich?«, sagte die Blonde und hatte ihre Hände in die Taille gestemmt.
    Â»Haben Sie mein Zeichen denn nicht gesehen?«, antwortete er.
    Â»Na ja, ich bin hier, also scheint bei mir doch etwas angekommen zu sein.«
    Er hielt ihr die Hand hin. »Ich bin Julian.«
    Sie nahm seine Hand und drückte sie fest. »Ich bin Gene­vieve.«
    Â»Schöner Name.« Obwohl er sich gar nicht so fühlte, winkte er selbstsicher den Bartender heran. »Kann ich Ihnen einen Drink spendieren?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich hatte schon mehr, als mir guttut.«
    Â»Und was würde passieren, wenn Sie weitertrinken?«
    Â»Das erzähle ich Ihnen lieber nicht.«
    Er nippte an seinem Glas. »Muss ich ein schlechtes Ge­wissen haben, weil Sie Ihre Freundin im Stich gelassen haben?«
    Â»Sie ist ein großes Mädchen. Sie kommt allein zurecht.«
    Â»Und wie oft lassen Sie Ihre Freundinnen wegen fremder Männer sitzen?«
    Sie legte ihr Täschchen auf die Bartheke und lachte. »Heute Nacht?«
    Er nickte.
    Â»Sie sind der Erste.«
    Das bezweifelte er. »Und warum gerade ich?«
    Â»Sie wirken … interessant.«
    Â»Sollte ich mich geschmeichelt fühlen?«
    Â»Ja.« Sie deutete auf die vielen Gäste. »Falls Sie es nicht gemerkt haben sollten, es gibt hier reichlich Gelegenheiten.«
    Â»Sie sind nicht gerade schüchtern, Genevieve. Ich mag das an Frauen.«
    Â»Was mögen Sie noch an einer Frau?«
    Â»Ich glaube, wir beide kennen die Antwort auf diese Frage.« Er bestellte sich einen weiteren Scotch und legte einen Fünfzig-Dollar-Schein auf die Theke. Er musste sich zwingen, seine Hände ruhig zu halten. »Und Sie sind sich sicher, dass Sie nicht noch etwas mögen?«
    Â»Nein, wirklich nicht.«
    Der Barkeeper goss ihm seinen Drink ein, und Julian nahm einen Schluck. »Und was machen Sie so, Genevieve? Sind Sie ein Model oder eine vielversprechende Schau­spielerin?«
    Â»Erstes Jahr Jura an der Uni.«
    Â»Beeindruckend.« Er lächelte schüchtern wie ein Schul­junge. »Und ich bin nicht so schnell zu beeindrucken.«
    Â»Da ist nicht wirklich etwas dabei. Anwälte gibt es heutzutage wie Sand am Meer.«
    Â»Welche Richtung wollen Sie als Juristin einschlagen?«
    Â»Da bin ich mir noch nicht ganz sicher. Aber ich tendiere zu Gesellschaftsrecht.« Sie drehte sich eine Haarsträhne
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