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Kein Tod wie der andere

Kein Tod wie der andere

Titel: Kein Tod wie der andere
Autoren: Carsten Ness
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eigenen Ansprüchen von sich wegtreiben würde. So, wie das in ihrer Familie üblich war. Ob sie eine Schuld an der Entwicklung trug?
    Nein, es war von beiden so gewollt gewesen. Genau so. Dennoch ließen sich ihre Emotionen nicht unterdrücken, die Unsicherheit war gewachsen, und alte Wunden waren aufgebrochen. Beim Gedanken an diese letzten Monate wollten ihr wieder Tränen in die Augen schießen, doch es war, als ob ihr Vorrat an Tränen an diesem Tag bereits aufgebraucht war. Verbraucht, seit diese Person nun endlich weg war.
    Suzanne schaute die Sauer hinunter, bis dorthin, wo sie langsam hinter einem Bogen verschwand. Die Sonne spiegelte sich in feiner Maserung auf der Wasseroberfläche. Nur an einer Stelle schienen funkelnde Schlieren eine Brücke über den Fluss zu bauen. Sollte sie dieser Brücke folgen, zurück nach Hause? Nein, drüben war nur Vergangenheit, trotz ihrer Bemühungen. Hier, auf dieser Seite der Grenze, war ihr Zuhause. Oder war auch das schon verloren? Hatte sie sich deshalb mit dieser Person hier getroffen, um einen weiteren Strich unter einen Lebensabschnitt zu ziehen, gerade an dieser Stelle ihrer Glückseligkeit? War sie schon wieder auf der Flucht und merkte es nur noch nicht?
    Sie erinnerte sich, wie Alexander und sie bei einem Spaziergang diesen Platz entdeckt hatten. Damals hatten sie das Haus gerade besichtigt. Es war purer Zufall gewesen, weil Alexander noch Zeit und Ruhe zum Überlegen brauchte und sie deshalb den Sauerradweg verließen und querfeldein zum Flussufer gingen. Es war ein später warmer Tag gewesen, und ein Schwanenpaar begleitete sie ein Stück weit des Weges. Alexander hatte sich noch lustig gemacht, ob er wirklich in einer so kitschigen Gegend leben wollte. Dann entdeckten sie diese kleine Einbuchtung im Ufer mit einem winzigen Sandstrand. Alexander hatte sich plötzlich übermütig die Kleider vom Körper gerissen und war in wildem Gebaren in das flache Gewässer gestürzt. Sie war ihm zögernd gefolgt. Zum Glück. Es war das erste und einzige Mal, dass sie sich im Freien geliebt hatten. Nun war es eine Unendlichkeit lang her.
    Was wollte sie nun hier? Warum hatten sie sich ausgerechnet hier getroffen? Wollte sie zeigen, dass nur sie selbst die wahre Liebe von Alex empfangen hatte? Wollte sie es sich selbst beweisen?
    Während des Streits mit dieser Person war alles in ihr zusammengefallen, wie ein Haus während eines heftigen Erdbebens. Ja, wie ein Beben hatten die Worte sie erschüttert. Sie hatte nicht mehr gespürt, wie der Sturz sie durch Brennnessel und Brombeergestrüpp bis zu der kleinen Sandstelle im Ufer, bis zu ihrem Strand rollen ließ. Wie betäubt war sie einfach liegen geblieben.
    Wie lange mochte es gedauert haben, bis sie wieder zu sich gekommen war? Sie wusste es nicht, wohl nicht allzu lange. Sie war jetzt allein, hatte eine Zeit lang nur still und leer dagesessen, bis die Gedanken in ihrem Kopf wieder anfingen, sich langsam zu bewegen.
    Es war nur ein kleines Geräusch hinter ihr, das sie aufhorchen ließ. Sie spürte, da war jemand. Trotz dieser Vorahnung erschrak sie, als sie eine Stimme hörte.
    »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
    Sie schloss kurz die Augen und atmete erleichtert auf. Mit einer Hand wischte sie sich über das Gesicht, doch die Tränen waren schon lange getrocknet. Während sie sich umdrehte, bemühte sie sich um eine feste Stimme. »Nein, vielen Dank, es ist alles –«
    Als sie die Person oberhalb der Uferböschung nur wenige Meter von sich entfernt erkannte, erstarrte sie. Dann spürte sie wieder diese unheimliche Wut in sich aufsteigen. Eine Wut, die sie nach allem, was geschehen war, nicht zu zügeln vermochte.

2
    Trier; Donnerstag, 9.   Juni
    »Schön, dass es heute Abend geklappt hat. Ich habe mich wirklich gefreut über deine Einladung.« Marie Steyn hatte ihre bunte Umhängetasche auf den freien Stuhl gelegt und sich an die Seite von Kommissar Christian Buhle gesetzt. »Aber sag mal: Übertreibst du es jetzt nicht mit klassischer Musik?«
    Buhle konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er hatte die Wette mit sich selbst gewonnen: Marie trug wieder eine weiße Bluse, enge Bluejeans und diese Leinenturnschuhe, die seit einiger Zeit unter dem Namen »Chucks« wieder modern geworden waren. Zusammen mit ihren ungebändigten schwarzen Locken und ihrer zierlichen Gestalt fiel sie zwischen den jungen Leuten in der Studentenkneipe hinter dem Trierer Theater nicht auf.
    »Tja, wer Mozart und Haydn sät, wird Fauré und
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