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Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Titel: Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
Autoren: Sabine Dankbar
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mehr. Es gab Felder in meinem vielfältigen Job, die mir unendlich Spaß machten. Der Umgang mit Mode, sich gedanklich damit auseinanderzusetzen, Frauen durch Kleidung schöner zu machen, ihre persönlichen Stärken zu unterstreichen und ihre körperlichen Problemzonen zu kaschieren, brachte mir sehr viel Freude. Ein weiterer positiver Faktor war der Kontakt mit den Mitarbeitern und die Nähe zu ihnen, Teamentwicklung und -arbeit bewertete ich als entscheidend. Distanziertes Verhalten fand ich meinen Mitarbeitern gegenüber als unangebracht und der Sache nicht förderlich. Transparenz in allem strebte ich an, denn nur gut informiertes Personal konnte entsprechende Leistungen bringen, das war mein Credo. Jederzeit war ich für jeden erreichbar. Meine Belastbarkeit war immens, zwar war ich dabei nicht immer ausgeglichen und nicht die Ruhe in Person, bisweilen war ich auch gereizt und reagierte sehr emotional, aber ansprechbar war ich auf jeden Fall und kümmerte mich sofort, wenn man auf mich zukam.
    Häufig war ich beruflich auf Reisen, zusammengerechnet mindestens acht bis zehn Wochen im Jahr. Die Messen und die Lieferantenbesuche in den unterschiedlichsten Ländern und Kulturen waren spannend, nährten meinen Wissensdurst und stillten meine Neugierde. Allerdings waren es auf der anderen Seite immer nur Momentaufnahmen. Natürlich bekam ich einen Eindruck von Shanghai, Hongkong oder Seoul, schnupperte in diese fremde, asiatische Welt hinein und machte auch Unterschiede in den jeweiligen Mentalitäten fest, aber es blieb immer beim kurzfristigen Eintauchen. Zu mehr war nie Zeit. Abflug, Ankunft, Koffer im Hotel abladen, direkt zum Lieferanten oder zur Messe, weiter zum nächsten Termin, dazwischen ein schneller Imbiss, abends Essen gehen, später todmüde ins Bett fallen, am nächsten Tag wieder der gleiche Ablauf. Nur ein einziges Mal habe ich in Asien einen Tempel besuchen können, allenfalls hier und da einen Besuch auf einem der zahlreichen Märkte, wo unzählige Markenplagiate angeboten werden, ließ der eng bemessene Zeitplan zu. Mindestens zwei Mal im Jahr war ich in Paris, nie habe ich in all den Jahren den Louvre oder den Eiffelturm besucht, dafür kannte ich jedes Modegeschäft zwischen der Champs-Elysees, der Rue Saint Honore und dem Boulevard Saint Germain. Die Uffizien in Florenz habe ich besichtigen können, weil unser Flugzeug wegen Nebel erst am Nachmittag starten konnte. Wie oft hatte ich mir vorgenommen, einen oder zwei Tage Urlaub anzuhängen, um von diesen Städten mehr zu sehen als die Geschäfte, Restaurants und Hotels. Aber die Kollektionsfertigstellung ließ keinen Platz dafür, mehr von dem Flair zu genießen und die Momentaufnahmen zu tieferen Eindrücken reifen zu lassen. Trotzdem, die Reisen möchte ich nicht missen. Jedes Eintauchen in fremde Welten erweitert den Horizont und die eigenen Sichtweisen, auch wenn es sich nur um kurze Einblicke handelt.
    Die Modebranche ist eine wunderschöne, bunte Welt, in der es aber auch schnelllebig und hektisch hergeht. Man ist immer mit mehreren Kollektionen, die auch noch verschiedene Jahreszeiten abdecken, gleichzeitig beschäftigt. Das Karussell dreht sich permanent, Verschnaufpausen gibt es nicht. Man ist laufend in Entwicklungsprozessen. Jeder Einzelne muss in diesem Zirkus Höchstleistungen bringen, Schwächen sind nicht erlaubt. Die Kollektionen müssen fertig werden, damit der Vertrieb vermarkten und die Betriebe produzieren können. Ein Rad muss in das andere greifen. Irgendwann war ich all dem gegenüber müde, nichts ging mehr locker von der Hand. Ich fühlte mich, obwohl erst Ende dreißig, häufig uralt. Mein Beweggrund jeden Tag zur Arbeit zu gehen, war nicht mehr Freude an meinem Beruf, sondern es war in erster Linie Pflichtgefühl unserem Familienunternehmen gegenüber. Ich fühlte Abhängigkeit, eine Abhängigkeit, die ungesund war, die mir wehtat. Meine emotionale Unabhängigkeit war mir abhanden gekommen, ich erlebte mich als unfrei und befangen. Freude, die sich aus meinem Selbst entwickelte, nahm ich nur noch wenig wahr. Das fand ich, war eine schlechte Grundlage für die tägliche Arbeit. Es war nicht fair mir selbst gegenüber und schon gar nicht gegenüber unserem Unternehmen. Meiner Meinung nach hatten alle Mitarbeiter Anrecht auf eine voll motivierte, ohne Selbstzweifel geplagte Führungskraft.
    Immer wieder kam mir der Jakobsweg in den Sinn. Würde eine Auszeit mich wieder nach vorne bringen, mich wieder klarer sehen lassen?
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