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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren
Autoren: James G. Ballard
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langsamen Fahrt quer durch Europa, nach Norden zu,
dachte an die Städte, die sie nacheinander verließen, an die stetig sich
verdichtende Sumpfvegetation, die alle Kanäle erfüllte und sich von Dach zu
Dach schlang.
    Und jetzt würden sie wieder eine
Stadt verlassen. Trotz der massiven Bauweise der Geschäftshäuser bestand das
Gebiet nur aus drei Hauptlagunen, um die sich ein Ring kaum fünfzig Meter breiter
Teiche gruppierte, dazu ein Netzwerk schmaler Rinnsale und kleiner Buchten, die
sich – dem ursprünglichen Straßennetz der Stadt folgend – im umliegenden
Dschungel verloren. An manchen Stellen verschwanden diese Wasserläufe völlig
oder ergossen sich in die dampfenden Wasserflächen der Rest-Ozeane, die
ihrerseits von Inselmeeren abgelöst wurden, die sich zu den dichten
Dschungelgebieten des südlichen Massivs vereinigten.
    Die Militärbasis, die Riggs mit
seinen Leuten aufgebaut hatte und zu der auch die biologische Station gehörte,
lag in der südlichsten Hauptlagune, im Schutze der höchsten Gebäude,
dreißigstöckigen Wolkenkratzern im ehemaligen Finanzsektor der Stadt.
    Als sie die Lagune durchquerten, war
die gelbgestreifte Tonne der schwimmenden Basis im Licht der reflektierten
Strahlen kaum zu erkennen; die rotierenden Flügel des Hubschraubers auf ihrem
Dach warfen blitzende Lichtlanzen auf den kleineren weißgestrichenen Rumpf der
biologischen Station, die neben einem breiten buckligen Konzertgebäude verankert
lag.
    Kerans sah zu den rechteckigen
Klippen hinauf; es waren noch genügend Fenster intakt, um ihn an Illustrationen
sonnendurchfluteter Promenaden in Nizza, Rio und Miami zu erinnern, die er als
Kind in Camp Byrd in Büchern betrachtet hatte. Trotz des Zaubers, der von
dieser Welt der Lagunen und der versunkenen Städte ausging, hatte er sich nie
näher für sie interessiert und sich nie bemüht, herauszufinden, über welcher
Stadt er gerade stationiert war.
    Dr. Bodkin, fünfundzwanzig Jahre
älter als er, hatte in Europa und in Amerika einige dieser Städte bewohnt; er
verbrachte seine Freizeit meist mit Bootsfahrten in die entfernteren
Wasserwege, er suchte frühere Bibliotheken und Museen, die freilich außer
seinen Erinnerungen kaum noch etwas enthielten.
     
    Vielleicht lag es an diesem Fehlen
persönlicher Erinnerungen, daß Kerans das Bild dieser versinkenden Kulturen
wenig berührte. Er war im ehemaligen arktischen Kreis – jetzt subtropisches
Gebiet mit mittlerer Jahrestemperatur von zirka dreißig Grad Celsius – zur Welt
gekommen und aufgewachsen, und mit knapp dreißig auf seiner ersten
Erkundungsfahrt nach Süden gekommen. Die ausgedehnten Sümpfe und Dschungel
waren ein märchenhaftes Laboratorium für ihn, die versunkenen Städte kaum mehr
als kunstvolle Podeste.
    Außer ein paar älteren Männern wie
Bodkin gab es niemanden, der sich noch an das Leben in diesen Städten
erinnerte, und selbst in Bodkins Kindheit waren sie bereits belagerte
Zitadellen gewesen, von riesigen Deichen umgeben und durch Panik und
Verzweiflung gezeichnet; ihr Zauber und ihre Schönheit beruhte gerade auf der
Leere, der eigenartigen Verbindung zweier Naturextreme – der Anblick erinnerte
an eine von Orchideen überwucherte, weggeworfene Krone.
    Als Folge gewaltiger
geophysikalischer Veränderungen hatte sich schon vor sechzig oder siebzig
Jahren das Klima Europas verändert. Eine Reihe heftiger, langanhaltender
Sonnenstürme, die jeweils mehrere Jahre dauerten, hatte die Van-Allen-Gürtel
erweitert und die Wirkung der Gravitationskraft der Erde auf die äußeren
Schichten der Ionosphäre vermindert. Diese Schichten verflüchtigten sich im
Weltall und beraubten die Erde damit ihres Schutzwalls gegen die Gewalt der
Sonnenstrahlen.
    Auf der ganzen Erde stiegen die
Durchschnittstemperaturen jährlich um einige Grade an. Die meisten tropischen
Zonen wurden schnell unbewohnbar; ganze Völker wanderten nach Süden oder
Norden, flohen vor Temperaturen, die auf über fünfzig Grad Celsius stiegen.
Einst gemäßigte Zonen wurden tropisch, Europa und Nord-Amerika litten unter
ständigen Hitzewellen, Temperaturen unter vierzig Grad waren Seltenheit
geworden. Unter Leitung der Vereinten Nationen begann man das antarktische
Plateau und die nördlichen Gebiete Kanadas und Rußland zu kolonisieren.
     
    Während der ersten zwanzig Jahre
paßte sich Tier- und Pflanzenwelt langsam dem veränderten Klima an, und auch
die Menschen stellten sich um. Das frühere Tempo mußte gemäßigt werden. Kraft,
dem
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