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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren
Autoren: James G. Ballard
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über der Lagune hochkam
und Wolken und Dampf vergoldete, merkte Kerans plötzlich, wie entsetzlich das
Wasser stank; süßlich-dicker Geruch nach verrotteten Pflanzen und Tierkadavern.
Riesige Fliegen schwirrten heran, wurden vom Drahtkäfig zurückgeworfen,
unheimliche Fledermäuse sausten über das sich erhitzende Wasser zu ihren
Schlupfwinkeln in den zerstörten Gebäuden. Noch vor wenigen Minuten hatte das
alles vom Balkon aus schön und klar ausgesehen, jetzt erkannte er, daß die
Lagune einfach dreckiges Brackwasser war.
    »Gehen wir an Deck?« schlug er Riggs
vor, »ich spendiere Ihnen einen.«
    »Nett von Ihnen. Freut mich, daß Sie
so großzügig sind.« Riggs schrie Macready zu: »Sergeant, ich will mal sehen, ob
ich das Destillationsgerät vom Doktor in Ordnung kriege!« Er zwinkerte Kerans
zu, als Macready diese Information mit skeptischem Blick und kurzem Nicken zur
Kenntnis nahm, aber die Flunkerei war im Grunde harmlos. Die meisten Männer
hatten Hüftflaschen bei sich, und sobald der Sergeant widerwillig zugestimmt
hatte, nahmen sie sie hervor und saßen dann gemütlich beisammen, bis Colonel
Riggs zurückkehrte.
    Kerans kletterte über das
Fensterbrett in das Schlafzimmer über der Landebrücke. »Was brauchen Sie also,
Colonel?«
    »Ich brauche gar nichts, die Sache
geht eher Sie an.«
    Sie stapften die Treppe hinauf. Riggs
schlug mit seiner Gerte gegen die Schlingpflanzen am Geländer. »Ist der Lift
immer noch nicht in Ordnung? Dieses Hotel wird offensichtlich überschätzt.« Als
sie das kühle Dachapartment betreten hatten, lächelte er jedoch anerkennend und
ließ sich dankbar in einen der Louis-XV-Lehnsessel mit den vergoldeten Beinen
fallen. »Wirklich sehr hübsch, Robert. Ich glaube, Sie sind der geborene
Strandräuber. Vielleicht ziehe ich zu Ihnen. Ist irgendwas frei?«
    Kerans schüttelte den Kopf, drückte
auf einen Knopf in der Wand und wartete, bis sich die als Bücherregal
kaschierte Cocktailbar herausgeklappt hatte. »Versuchen Sie's im Hilton ,
die Bedienung ist dort besser.«
    Das war als Spaß gemeint, aber
tatsächlich sah er trotz aller Sympathie Riggs lieber so wenig wie möglich. Zur
Zeit waren sie durch Lagunen voneinander getrennt, und der Dschungel
verschluckte das stetige Geklapper von Küchengeschirr und Waffen auf dem
Hauptschiff. Obwohl Kerans die zwanzig Leute dort seit mindestens zwei Jahren
kannte, hatte er außer ein paar Grunzern und Fragen in der Krankenstation im
letzten halben Jahr mit keinem von ihnen gesprochen. Riggs und Macready waren
die einzigen Ausnahmen. Sogar mit Bodkin kam er so wenig wie möglich zusammen.
Die beiden Biologen hatten sich geeinigt, auf alle üblichen Höflichkeitsformen
zu verzichten, ebenso auf harmlose Gespräche, mit denen sie sich in den ersten
zwei Jahren beim Katalogisieren und Vorbereiten der Mikroskopproben im Labor
unterhalten hatten.
    Diese immer stärker werdende
Isolierung und Ichbezogenheit, die auch bei den anderen – mit Ausnahme von
Riggs – festzustellen war, ließ Kerans an das biologische Zurückziehen aller
Säugetiere denken, die vor einer großen Metamorphose standen. Manchmal überlegte
er, welche Phase er wohl gerade durchmachte; er war überzeugt, daß sein
Zurückziehen eine sorgfältige Vorbereitung für eine ganz neue Umwelt und eine
neue Logik war, wo alte Denkkategorien nur ein Hindernis sein würden.
    Er reichte Riggs ein großes Glas
Scotch, sein eigenes nahm er zum Schreibtisch herüber und schob schuldbewußt
einige Bücher über dem Funkgerät weg.
    »Mal versucht, da zuzuhören?« fragte
ihn Riggs in komisch-vorwurfsvollem Ton.
    »Noch nie«, sagte Kerans, »wozu auch?
Wir kennen doch alle Nachrichten der nächsten drei Millionen Jahre.«
    »Stimmt gar nicht. Ab und zu sollten
Sie's wirklich einschalten. Man hört da allerhand Interessantes.« Er stellte
sein Glas ab und beugte sich vor. »Heute morgen hätten Sie zum Beispiel gehört,
daß wir in genau drei Tagen einpacken und die Gegend für immer verlassen
werden.« Kerans sah ihn ungläubig an, er nickte bekräftigend. »Kam gestern
abend von Camp Byrd durch. Offenbar steigt der Wasserspiegel weiter, und all
unsere Arbeit war völlig umsonst – hab' ich übrigens schon immer gesagt. Die
amerikanischen und russischen Einheiten werden auch zurückberufen. Am Äquator
sind Temperaturen von achtzig Grad gemessen worden, und sie steigen noch. Beim
20. Breitengrad sind ständig Regengürtel. Immer mehr Schwemmsand ...«
    Er brach ab und
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