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Karlo geht von Bord - Kriminalroman

Karlo geht von Bord - Kriminalroman

Titel: Karlo geht von Bord - Kriminalroman
Autoren: Verlag Vogelfrei
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Rand ihres Ohres entlang und hinterließ eine kalte feuchte Spur. Panik erfasste Karlos Freundin. Sie drehte den Kopf ruckartig nach rechts und schnappte nach seiner Nase. Der verdutzte Angreifer spürte, wie sich ihre Zähne in sein Riechorgan gruben. Jeannette biss kräftig zu.
    „Auuuuu“, jaulte der Fremde auf, „du blonde Dreckschlampe, wart nur, ich werd’s dir geben, du verdammte kleine Hure.“
    Sein Griff lockerte sich. Mit einer heftigen Bewegung schaffte sie es, sich aus der Umklammerung zu lösen und stolperte hastig Richtung Treppe. Augenblicklich war er wieder hinter ihr. Sie verkrampfte sich und erwartete, dass er abermals versuchen würde, sie festzuhalten, da hörte sie ein scharfes Rasseln, das von vier kleinen Rädern verursacht wurde.
    „Aaah, verdammt …“
    Ein dumpfer Aufprall folgte, etwas rollte ihr mit Schwung in die Hacken.
    Das Skateboard. Danke, Niklas!
    Der widerliche Kerl indes stand schnell wieder auf den Beinen und steuerte erneut auf sie zu.
    Von diesem Moment an handelte Jeannette automatisch. Sie bückte sich, griff nach dem Rollbrett und packte es fest mit beiden Händen. Dann schloss sie ihre Augen und schlug nach Leibeskräften zu. Als sie die Augen wieder öffnete, stand der Kerl leicht schwankend vor ihr. Ein ungläubiger, erstaunter Blick traf sie, als sie in sein Gesicht sah. Aus seiner Nase rann ein dünner Blutfaden und bahnte sich einen Weg um den Mundwinkel in Richtung seiner Kinnspitze. Jeannette bemerkte mit Schrecken, wie sein Erstaunen in rasende Wut umschlug. In panischer Angst setzte sie nach und schlug erneut zu.
    Und wieder. Und wieder. Und wieder. Und noch ein letztes Mal.
    Nun stand der Kerl nicht mehr.
    Jeannette atmete schwer. Ihre langen blonden Haare hingen ihr wirr ins Gesicht. Sie lenkte einen verängstigten Blick auf das blutverschmierte Skateboard in ihren zitternden Händen. Sie würde es reinigen müssen, so konnte sie es nicht liegenlassen, dachte sie verzweifelt. Das Treppenhauslicht erlosch. In der plötzlichen Dunkelheit fühlte sie staunend, wie sich ihre Nerven beruhigten.
    Verwundert über ihre plötzliche Gelassenheit stieg sie über den reglosen Mann und drückte den Lichtschalter. Dann suchte sie die Haustürschlüssel, die ihr während des Angriffs zu Boden gefallen waren. Sie fand ihren Schlüsselbund in einer kleinen Blutlache. Mit spitzen Fingern nahm sie ihn an sich, klemmte sich das Skateboard unter den Arm und stieg wie in Trance die Treppe hinauf.
    In der Wohnung angekommen legte sie das beschmutzte Rollbrett in die Badewanne, wusch sich die Hände und zog ihre blutbefleckte Bluse aus. Sie griff sich ein altes T-Shirt, das über dem Badewannenrand hing und streifte es über, verließ das Bad wieder, ging in die Küche und setzte sich mit einem tiefen Seufzer an den Küchentisch.
    Jeannette saß wie betäubt in der Küche. Schließlich stieg sie fröstelnd in die Duschkabine und schrubbte sich unter dem heißen Wasser, als könne sie das Geschehene einfach von sich abwaschen.
    Nachdem sie die Dusche verlassen, sich abgetrocknet und ihre Haare gefönt hatte, fiel ihr Blick auf die Holzkiste mit Wein, die sie für ihren Bekannten Uwe Marks in Empfang genommen hatte. Er hatte diese Lieferung an sie schicken lassen, da er beruflich unterwegs war.
    Ein guter Schluck Wein, das wäre jetzt gut. Das würde helfen, dachte Jeannette. Ihre eigenen Vorräte waren jedoch dummerweise ausgetrunken.
    Sie lächelte bitter, als ihr ein Sinnspruch aus Wilhelm Buschs
Frommer Helene
in den Sinn kam:
„Es ist ein Brauch von alters her, wer Sorgen hat, hat auch Likör“
. Busch hatte eigentlich recht. Nur fehlte ihr momentan der Likör.
    Wieder fiel ihr Blick auf die Weinkiste. Sie war Jeannette Müller und nicht die fromme Helene. Uwe würde ihr bestimmt verzeihen, wenn sie sich ein Fläschchen davon gewissermaßen „auslieh“. Vor allem, wenn sie ihm den seelischen Zustand beschreiben würde, die den Genuss einer guten Flasche geradezu unabdingbar gemacht hatte.
    Einen Moment zögerte sie noch, dann verdrängte sie das schlechte Gewissen, öffnete die Kiste und entnahm ihr eine Flasche.
    Ohne wirkliches Interesse nahm sie das Etikett in Augenschein.
Chateau Haut Brion
stand da relativ unauffällig, das sagte ihr gar nichts. Und dann, unter der Jahrgangsangabe
1990
, noch die Bezeichnung:
Premier Grand Cru Classée
.
    „Meine Güte“, dachte Jeannette, als sie weiterlas. Was hatte sich Uwe da andrehen lassen. Jahrgang 1990. Letztes Jahrhundert.
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