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Kapitän Singleton

Kapitän Singleton

Titel: Kapitän Singleton
Autoren: Daniel Defoe
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gehört jener, daß Singleton südlich von Australien, doch an der Nordküste der großen Insel (Tasmanien, damals Van Diemen’s Land genannt) entlangsegelt. Zu Defoes Zeit ließen die Karten den Verlauf der unbekannten Küstenlinie Südost- und Südau-straliens frei, und es wurde allgemein angenommen, daß Tasmanien (und auch Neuguinea) mit dem australischen Kontinent verbunden wären. Die von Singleton benutzte Seestraße zwischen Australien und Tasmanien wurde erst 1798
    entdeckt. Defoe war kein Hellseher, besaß aber genug Phantasie, diesen Wasserweg für möglich zu halten.
    Die glückliche Heimkehr des Seeräubers war für Defoe kein Dreh, keine Umstülpung der Geschichte. Er läßt Singletons Reue und Gewissensbisse bis zu unchristlichen Selbstmordab-sichten und sogar bis zum Gedanken an eine wohltätige Stiftung seines Reichtums gehen, mit der sich Singleton das Anrecht auf bürgerliche Respektabilität erkaufen möchte. Nach der vom Kalvinismus sich herleitenden Lehre der Puritaner gehörten die Erfolgreichen dieser Welt zu den Auserwählten der nächsten, womit dem Seeräuber Singleton ohnehin eine 369
    Anerkennung zustand. Eben in der Bewertung seiner Entwicklung und seiner Haltung drückt Defoe aus, in welchem Maße die Geldbeziehungen der Menschen die Moral der bürgerlichen Gesellschaft zu prägen begannen:
    Die Emanzipation dieser Klasse, die Durchsetzung der Konkurrenz freier Individuen erforderte ethische Kompromisse. War er nicht selbst wie ein Verbrecher inhaftiert und angeprangert worden, um von einem Tag auf den anderen vom Häftling zum Agenten der angesehensten Politiker aufzusteigen, und traf ihn nicht der Widerspruch, ein beim Volke beliebter Journalist und der verehrte Verfasser massenhaft verbreiteter Romane zu sein, während er sich zur gleichen Zeit vor Gläubigern und Vollzugsbeamten verbergen mußte?
    In der „Allgemeinen Geschichte der Piraten“ verglich Defoe den Sittenverfall in England mit der Seeräuberei zugunsten der letzteren, und in Anspielung auf die Direktoren der Südsee-Kompanie meinte er, die Seeräuber seien nicht die größten Schurken auf dieser Welt. Bereits in der „Review“ sprach er von den „Piraten an der Londoner Börse“, den Schwarzhändlern und Zollbetrügern.
    So mochten Autor und Leser es dem nicht übermäßig schändlichen und reuigen Freibeuter wohl gönnen, wieder in die Zivilisation aufgenommen zu werden. Die barmherzige Stiftung freilich kann heutigen Lesern wie eine Ironie auf die Selbstliebe des reichen Mannes erscheinen, denn mit der Heirat der Beschenkten, der Schwester des luxusfreudigen Quäkers (ein spöttisches Paradox), hat Singleton den Besitz nur vom Hauptkonto auf das Nebenkonto überwiesen. Es war die damals noch progressive Pflicht der aufstrebenden Klasse, sich selbst zu helfen, so wie Robinson und Bob Singleton.
    Im Kanon der Defoeschen Romane haben „Kapitän Singleton“ wie „Oberst Jack“ und „Roxana“ lange im Schatten des ersten Teils von „Robinson Crusoe“ und der „Moll Flanders“
    gestanden. Robinsons Inselaufenthalt und Molls von Verfü h-370
    rungen, Diebstählen, Deportation, mehreren Ehen (darunter die unwissentliche Gemeinschaft mit ihrem Bruder) begleitetes Leben bieten gewiß ungewöhnlichere Vorfälle dar, und der Leser wird mit diesen Gestalten noch enger bekannt. Die in Reue und Wohlstand endende Karriere des Seeräubers Singleton und seine Erlebnisse auf vier Kontinenten stehen ihnen jedoch kaum nach und verdienen als Abenteuerroman und als ein Stück Zeitgeschichte neu entdeckt zu werden.

    Günther Klotz

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