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Kapitän Singleton

Kapitän Singleton

Titel: Kapitän Singleton
Autoren: Daniel Defoe
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mißhandelt, und er entdeckt sein Vergnügen an der Unaufrichtigkeit. Als er mit den Kameraden in Madagaskar ausgesetzt wird, wollen sie mit den Eingeborenen einen fairen Handel treiben und sich durchschlagen, doch im Grunde steht Singleton wie die anderen vor der Entscheidung, die ihm durch den Kopf geht: zu verhungern oder Seeräuber zu werden, was soviel heißt wie, sein Leben im Kampf oder am Galgen vorzeitig zu beenden.
    Defoe bringt beides ins Spiel: die situationsbedingten Not-wendigkeiten wie den Charakter des jungen Mannes, dessen Kaltherzigkeit er mehrfach hervorbrechen läßt. Dennoch versagt er ihm seine Sympathie nicht ganz, und das nicht nur, weil er ihn doch am Schluß sein Schäfchen ins trockene bringen läßt. Bob Singleton erweist sich nämlich als sehr anstellig, von schneller Auffassungsgabe, geschickt und mutig.
    Die Seeleute erkennen auch bald seine Fähigkeit, Menschen zu führen, und ernennen ihn zum Chef und Kapitän. Diesen Aufstieg verdankt er weder Reichtum noch Rang noch Protektion, wie das im zivilen Leben wäre; nein, die Ausgesto-
    ßenen verfahren demokratisch und wählen den Besten, nach der Leistung.
    In Afrika sehen sie sich den unbekannten Gefahren eines unbekannten Erdteils ausgesetzt. Für die Schilderung des Trecks durch das Innere des schwarzen Kontinents konnte Defoe übrigens keine Berichte zu Rate ziehen: Afrika war zu seiner Zeit noch nicht durchquert worden. Es gab Karten mit weißen Flecken und unterschiedlichen Angaben über die Lage der zentralen Seen, und es lagen Aussagen über Begegnungen mit Negern vor. Daß er auf der Grundlage dieser Angaben und der Erzählungen von Seeleuten diese Expedition von Moza m-367
    bique zur Goldküste als einen kühnen Plan und eine glaubhafte und noch kühnere Unternehmung zu gestalten vermochte, macht ihn zu einem großen Prosadichter.
    Den Afrikanern gegenüber verhalten sich die Europäer je nach ihren eigenen Bedürfnissen und nach deren Friedfertig-keit. Entsprechend Singletons Vorschlag nehmen sie Sklaven, weil sie ohne Sklavendienste, ohne die Treue, Ausdauer und Findigkeit der gefange nen Neger die Westküste nie erreichen würden. Als ihnen dann das Gold buchstäblich zu Füßen liegt, wollen sie etwas mitnehmen, doch der Hauptgedanke ist der, nach Hause zurückzukehren – obwohl Singleton persönlich kein Zuhause besitzt. Der „zivilisierte“ Engländer, den sie im Herzen Afrikas der Einsamkeit entreißen, ist bestürzt über ihre mangelnde Geldgier. Erst auf sein Drängen häufen sie noch monatelang Gold und Elfenbein an, um dann steinreich nach Europa zu segeln.
    Nach zwei unbeschwerten Jahren ausschweifender Vergnü-
    gungen mit unehrlichen Freunden zieht Singleton in England die seinem Charakter entsprechende Lehre aus seinem Los.
    Hier, in der Mitte des Romans, verlassen und mittellos, begreift er den Wert des Geldes, beschließt er, als Seeräuber so viel zu erbeuten, daß es ihm, natürlich bei weniger leichtsinnigem Gebrauch, nicht mehr ausgehen wird.
    Was auf den Reisen in der Karibik, an Südamerikas Ostküste, in Madagaskar, im Indischen Ozean, auf den Sundainseln und Philippinen und auf der Fahrt um Australien (damals Neuho lland genannt) geschieht, ist dank des Einfallsreichtums des Autors zu einer der ersten literarisch gestalteten Seeräubergeschichten geworden. In den Wechselfällen von Erfolgen und Schwierigkeiten, von glücklichen Zufällen und unerwarteten Notsituationen lernt Singleton, vor allem durch den Rat des Quäkers William Walters, die Seeräuberei wie ein Handwerk zu meistern, besser gesagt, wie ein „Geschäft“.

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    Tatsächlich benutzen sie dieses Wort „Geschäft“ für ihr Gewerbe, und sie betreiben es auch so, mit Zwischenbilanzen, mit dem Abwägen von Gewinnaussichten, der Minimalisierung der Verluste, dem gezielten Einsatz der Kräfte und mit intriganten Schachzügen wie zum Beispiel der Verkleidung von Menschen und Boot. Langsam finden sie heraus, welche Schiffe mit welchen Gütern zu kapern vorteilhaft ist. Von Anfang an legt Singleton Wert auf die Gefangennahme von Fachkräften, von Wundärzten und Zimmerleuten. Sie operieren wie ein Flottenverband, allerdings außerhalb der politischen und diplomatischen Beziehungen, die sie nichtsdestoweniger bei jedem Beutezug in Rechnung stellen müssen.
    So aufregend das Aufbringen des verlassenen Sklavenschiffs, das Gefecht mit den im Baum verschanzten Eingeborenen und andere Abenteuer auch sind, zu den erstaunlichsten Berichten
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