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Kaeltezone

Kaeltezone

Titel: Kaeltezone
Autoren: Arnaldur Indridason
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bist imstande, auf dem Wasser zu wandeln?«
    »Der See ist weg«, sagte sie. »Hier ist kein Wasser mehr, nur trockener Seeboden. Da, wo das Skelett liegt.«
    »Was meinst du damit, der See ist weg?«
    »Nicht der ganze See, aber da, wo ich stehe, ist kein Wasser mehr. Ich bin Hydrologin und arbeite am Energieforschungsinstitut. Ich habe den Wasserstand kontrolliert und das Skelett gefunden. Es hat ein Loch im Schädel und ist größtenteils im Sand vergraben. Ich habe zuerst gedacht, es handelte es sich um ein Schaf.«
    »Ein Schaf?«
    »Wir haben neulich schon mal eins gefunden, das vor langer Zeit im See ertrunken ist. Als er noch größer war.«
    Wieder Schweigen in der Leitung.
    »Bleib da, wo du bist«, sagte die Stimme zögernd. »Ich schicke einen Wagen vorbei.«
    Nachdem sie eine Weile unbeweglich bei dem Skelett gestanden hatte, ging sie in Richtung Wasser und maß die Entfernung. Sie war sich sicher, dass die Knochen noch nicht zum Vorschein gekommen waren, als sie vor zwei Wochen den Wasserstand abgelesen hatte. Sie wären ihr bestimmt aufgefallen. Die Wasseroberfläche war also in dieser Zeit um einen weiteren Meter gesunken.
    Dieses Rätsel hatte die Experten am Energieforschungsinstitut beschäftigt, seitdem feststand, dass sich der Wasserspiegel so rasch senkte. Das Institut hatte dort bereits 1964 ein Gerät aufgestellt, das den Wasserstand fortlaufend aufzeichnete, und eine der Aufgaben der Hydrologen bestand darin, die Messungen zu kontrollieren. Im Sommer 2000 schien das Messgerät auf einmal kaputt zu sein. Unglaubliche Mengen von Wasser gingen Tag für Tag verloren, doppelt so viel wie normalerweise.
    Sie kehrte wieder zu dem Skelett zurück. Sie hatte größte Lust, es näher zu untersuchen, den Sand wegzuschaufeln und es freizulegen. Aber ihr war klar, dass die Polizei nicht sehr erfreut darüber sein würde. Sie überlegte, ob es ein Mann oder eine Frau war, denn sie erinnerte sich, irgendwann einmal gelesen zu haben, wahrscheinlich in einem Krimi, dass es bis auf die Beckenknochen praktisch keinen Unterschied zwischen dem Skelett eines Mannes und dem einer Frau gibt. Gleichzeitig fiel ihr aber ein, dass jemand anderes ihr gesagt hatte, man solle nichts darauf geben, was in Kriminalromanen steht. Das Becken selbst sah sie nicht, es war von Sand bedeckt, und sie dachte, dass sie den Unterschied sowieso nicht erkennen könnte.
    Der Kater verschlimmerte sich, und sie setzte sich neben dem Skelett in den Sand. Es war ein Sonntagmorgen, und vereinzelt fuhren Autos am See entlang. Sie stellte sich eine Familie auf einem Sonntagsausflug nach Herdísarvík und Selvogur vor. Eine populäre Sonntagstour durch Lavafelder und Berglandschaft, und dann am Kleifarvatn entlang zur Küste. Sie dachte an die Familien in den Autos. Ihr Mann hatte sie verlassen, als sich herausgestellt hatte, dass sie keine Kinder bekommen konnte. Kurze Zeit später heiratete er wieder und war inzwischen Vater von zwei reizenden Kindern. Er hatte das Glück gefunden.
    Das Einzige, was sie dagegen gefunden hatte, war einen Mann, den sie kaum kannte und der mit Socken bei ihr im Bett lag. Je mehr Zeit verstrich, desto schwieriger wurde es, anständige Männer zu finden. Die meisten waren geschieden wie sie selbst, oder – was noch schlimmer war – sie hatten keine Frau abgekriegt.
    Sie fühlte sich elend und war den Tränen nahe, während sie auf das Skelett im Sand starrte.
    Etwa eine Stunde später näherte sich ein Streifenwagen aus Hafnarfjörður. Die Polizeibeamten schienen es nicht eilig zu haben, sondern fuhren ganz gemächlich die Straße entlang, die zum See führte. Es war Mai, die Sonne stand hoch am Himmel und spiegelte sich auf der glatten Wasseroberfläche. Sie saß im Sand, behielt die Straße im Auge, und als das Auto näher kam, winkte sie. Das Auto fuhr an den Straßenrand und stoppte. Zwei Polizisten stiegen aus, blickten in ihre Richtung und setzten sich dann in Bewegung.
    Sie betrachteten das Skelett geraume Zeit, ohne ein Wort zu sagen. Dann stieß der eine mit der Fußspitze gegen eine Rippe.
    »Ob der wohl hier geangelt hat?«, sagte er zu seinem Begleiter.
    »Du meinst von einem Boot auf dem Wasser aus?«, sagte der Kollege.
    »Oder er ist bis hierher gewatet.«
    »Da ist ein Loch«, sagte sie und schaute von einem zum anderen. »Im Schädel.«
    Einer der beiden beugte sich hinunter.
    »Nanu«, sagte er.
    »Er kann gefallen sein und sich den Schädel aufgeschlagen haben«, sagte sein Kollege.
    »Der
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