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Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi

Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi

Titel: Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Anruf bis zum Eintreffen der Sanitäter, des Arztes und der Polizisten verging, erstaunlich kurz vor. Zuständig war die Polizei in Selfoss. Die Männer wussten, dass die Frau, die sich das Leben genommen hatte, aus Reykjavík stammte, im Grafarvogur-Viertel wohnte und verheiratet, aber kinderlos war.
    Drinnen im Haus unterhielt man sich leise. Die Leute wirkten wie Fremdkörper in der unbekannten Wohnung, in der sich eine Tragödie zugetragen hatte.
    »Bist du diejenige, die den Notruf verständigt hat?«, fragte ein junger Polizist.
    Man hatte ihn an die Frau verwiesen, die die Leiche gefunden hatte. Sie saß mit gesenktem Kopf in der Küche und starrte auf den Fußboden.
    »Ja. Ich heiße Karen.«
    »Wenn du psychologische Betreuung brauchst, können wir …«
    »Nein, ich glaube … Es geht schon.«
    »Hast du sie gut gekannt?«
    »Ich kenne María, seit wir Kinder waren. Sie hat mir das Haus hier zur Verfügung gestellt. Ich wollte übers Wochenende hierbleiben.«
    »Du hast das Auto hinter dem Haus nicht bemerkt?«
    »Nein. Ich ging davon aus, dass niemand hier ist. Allerdings fiel mir auf, dass das Bett nicht gemacht war, und als ich ins Wohnzimmer kam … Ich hab noch nie so etwas gesehen. Mein Gott, die arme María!«
    »Wann hast du zuletzt mit ihr gesprochen?«
    »Vor ein paar Tagen noch. Da haben wir wegen des Hauses miteinander telefoniert.«
    »Hat sie erwähnt, dass sie auch da sein würde?«
    »Nein, davon hat sie nichts gesagt. Sie hat nur gesagt, ich könnte selbstverständlich ein paar Tage in dem Haus verbringen. Das sei kein Problem.«
    »Und war sie … guter Dinge?«
    »Ja, es kam mir so vor. Als ich den Schlüssel bei ihr abholte, war sie so wie immer.«
    »Sie wusste also, dass du hierherkommen würdest?«
    »Ja. Was meinst du damit?«
    »Sie hat gewusst, dass du sie hier finden würdest«, erwiderte der Polizist.
    Er hatte sich einen Küchenhocker herangezogen und sich neben sie gesetzt, um mit ihr zu sprechen. Sie griff nach seinem Handgelenk und starrte ihn an.
    »Willst du damit sagen, dass …?«
    »Es könnte sein, dass du sie finden solltest«, entgegnete der Polizist. »Aber das weiß ich natürlich nicht sicher.«
    »Weshalb sollte sie das gewollt haben?«
    »Es ist nur eine Vermutung.«
    »Aber es stimmt, sie wusste, dass ich das Wochenende hier verbringen wollte. Sie wusste, dass ich kommen würde. Wann … Wann hat sie das getan?«
    »Wir haben noch keinen genauen Befund, aber der Arzt meint, es kann kaum später als gestern Abend gewesen sein. Wahrscheinlich ist es etwa vierundzwanzig Stunden her.«
    Karen schlug die Hände vors Gesicht.
    »O Gott, das ist so … Das ist alles so unwirklich. Hätte ich sie doch bloß nie um diesen Gefallen gebeten. Habt ihr schon mit ihrem Mann gesprochen?«
    »Die Kollegen sind auf dem Weg zu ihm. Er wohnt in Grafarvogur, nicht wahr?«
    »Ja. Wie konnte sie sich das antun? Wie kann ein Mensch so etwas machen?«
    »So etwas macht man im Zustand äußerster Verzweiflung«, erklärte der Polizist und bedeutete dem Arzt, zu ihnen zu kommen. »Bei psychischen Problemen. Du hast nichts dergleichen bei ihr gemerkt?«
    »Vor zwei Jahren hat sie ihre Mutter verloren. Das war ein furchtbarer Schlag für sie. Sie starb an Krebs.«
    »Ich verstehe«, sagte der Polizist.
    Karen brach in Tränen aus, und der Polizist fragte sie, ob sie vielleicht mit dem Arzt sprechen wolle. Sie schüttelte den Kopf und sagte, es sei alles in Ordnung mit ihr, aber sie habe den Wunsch, möglichst bald nach Hause fahren zu dürfen. Das wurde ihr sofort gestattet. Gegebenenfalls konnte man ja auch noch später mit ihr sprechen.
    Der Polizist begleitete sie zu ihrem Auto vor dem Haus und öffnete ihr die Wagentür.
    »Du bist dir sicher, dass alles in Ordnung ist?«, fragte er.
    »Ja, ich denke schon«, antwortete Karen. »Vielen Dank.«
    Der Polizist beobachtete, wie sie den Wagen wendete und davonfuhr. Als er das Haus wieder betrat, hatte man die Leiche abgenommen und sie auf den Fußboden gelegt. Er ging neben ihr in die Hocke. Die Frau hatte ein schmales Gesicht und dunkles, kurz geschnittenes Haar. Sie war schlank und trug ein weißes Polohemd und blaue Jeans, hatte aber keine Socken an. Er sah keinerlei Anzeichen von Gewaltanwendung, weder an ihrem Körper noch in dem Haus, nur den umgekippten Küchenhocker, den die Frau dazu benutzt hatte, den Strick am Balken zu befestigen. Ein blaues Seil dieser Art konnte man in jedem Baumarkt kaufen. Es hatte tief in ihren
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