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Julia

Julia

Titel: Julia
Autoren: Anne Fortier
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sortieren, war sie ein richtiger Noah, aber im Gegensatz zu dem Alten aus der Bibel wusste sie längst nicht mehr, warum sie es tat.
    Im Nachhinein war schwer zu sagen, ab wann sich die Dinge verändert hatten. Irgendwann während unserer Highschool-Zeit hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, jeden Traum zum Platzen zu bringen, den ich in Sachen Liebe je entwickelte. Während sie ständig den Freund wechselte und mit keinem länger zusammen war, als eine billige Strumpfhose hielt, bereitete es ihr ein besonderes Vergnügen, mich völlig zu verschrecken, indem sie alles und jeden so verächtlich und eklig beschrieb, dass ich mich fragte, wieso Frauen überhaupt etwas mit Männern zu tun haben wollten.
    »Also«, verkündete sie am Abend unseres Abschlussballs, während sie mir rosarote Lockenwickler ins Haar drehte, »das ist deine letzte Chance.«
    Ich starrte sie im Spiegel an. Obwohl mir ihr Ultimatum Rätsel aufgab, konnte ich nicht nachfragen, wie sie das meinte, weil mich eine ihrer mintgrünen Schlammmasken, die auf meinem Gesicht zu einer Kruste angetrocknet war, am Sprechen hinderte.
    »Du weißt schon ...«, fügte sie mit einer ungeduldigen Grimasse hinzu, »deine letzte Chance, dich endlich entjungfern zu lassen. Darum geht es doch beim Abschlussball. Warum glaubst du, dass die Jungs sich so fein machen? Weil sie tanzen wollen? Von wegen ! « Sie warf mir im Spiegel einen Blick zu, um zu sehen, wie ihr Werk voranschritt. »Du weißt ja, was sie über dich sagen werden, wenn du es beim Abschlussball nicht machst. Dann bist du als prüdes Mauerblümchen abgestempelt. Niemand steht auf prüde Mauerblümchen.«
    Am nächsten Morgen klagte ich über Magenschmerzen, und je näher der Ball rückte, um so schlimmer wurden meine Beschwerden. Am Ende war Tante Rose gezwungen, die Nachbarn anzurufen und ihnen zu erklären, dass ihr Sohn sich besser eine andere Tanzpartnerin für den Abend suchte. Janice wurde in der Zwischenzeit von einem Athleten namens Troy abgeholt und entschwand in der Rauchwolke seiner quietschenden Reifen.
    Nachdem Tante Rose sich den ganzen Nachmittag mein Ächzen und Stöhnen hatte anhören müssen, drängte sie immer mehr darauf, mit mir ins Krankenhaus zu fahren - nur für den Fall, dass es sich um eine Blinddarmentzündung handelte. Umberto aber beruhigte sie und erklärte, ich hätte kein Fieber, und er sei sicher, dass es sich um nichts Ernstes handle. Als er später an diesem Abend noch einmal neben mein Bett trat und auf die Bettdecke herabblickte, unter der ich vorsichtig herauslugte, begriff ich, dass er mich längst durchschaut hatte und die Show, die ich gerade abzog, auf eine seltsame Art sogar gut fand. Wir wussten beide, dass an dem Nachbarsjungen an sich nichts auszusetzen war, er aber einfach nicht der Vorstellung entsprach, die ich mir von meinem zukünftigen Liebhaber machte. Und wenn ich schon nicht bekommen konnte, was ich wollte, ließ ich den Ball lieber sausen.
    »Dick«, sagte Janice nun, während sie Mr. Gallagher mit einem seidenweichen Lächeln beglückte, »warum hören wir nicht auf, um den heißen Brei herumzureden? Wie viel?«
    Ich versuchte gar nicht erst mich einzumischen. Schließlich würde sich Janice, sobald sie ihr Geld hatte, in die ewigen Jagdgründe der protzigen Möchtegernreichen absetzen, und ich brauchte ihren Anblick nie wieder zu ertragen.
    »Nun ja«, antwortete Mr. Gallagher verlegen, während er auf dem Parkplatz direkt neben Umberto und dem Lincoln stehen blieb, »bedauerlicherweise steckt fast das gesamte Vermögen in Haus und Grundstück.«
    »Hören Sie«, meinte Janice, »wir wissen doch alle, dass es bis auf den letzten Cent genau fifty-fifty geteilt wird, also sparen wir uns dieses Gerede. Sollen wir eine weiße Linie mitten durch das Haus ziehen? Meinetwegen, das können wir gerne machen. Oder ...« Sie zuckte mit den Achseln, als wäre es ihr völlig egal, »wir verkaufen einfach die ganze Hütte und teilen das Geld. Wie viel?«
    »In der Praxis sieht es so aus, dass Mrs. Jacobs letztendlich ...« - Mr. Gallagher bedachte mich mit einem bedauernden Blick - »ihre Meinung geändert und beschlossen hat, alles Miss Janice zu hinterlassen.«
    »Was?« Ich sah erst Janice, dann Mr. Gallagher und dann Umberto an, fand jedoch keinerlei Beistand.
    »Du heilige Scheiße!« Janice grinste plötzlich über das ganze Gesicht. »Dann hatte die alte Dame also doch Sinn für Humor!«
    »Selbstverständlich«, fuhr Mr. Gallagher mit hochgezogenen
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