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Julia

Julia

Titel: Julia
Autoren: Anne Fortier
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während in mir eine Welle der Wut hochstieg, wie ich sie seit meinem letzten Besuch nicht mehr empfunden hatte. »Noch jemand am Leben?«
    In dem stillen Haus hallte meine Stimme ein paar Sekunden lang nach, aber nachdem das Echo verklungen war, hörte ich oben auf dem Gang schnelle Schritte. Trotz dieses kurzen Anfalls von Hektik, den das schlechte Gewissen bei Janice auslöste, ließ sie sich ihren üblichen, wie in Zeitlupe inszenierten Auftritt auf der breiten Treppe keineswegs nehmen. Nach einer kurzen Pause für die Weltpresse warf sie ihr langes Haar mit träger Selbstzufriedenheit nach hinten und bedachte mich mit einem hochnäsigen Lächeln, ehe sie ihren Abstieg begann. »Und siehe da«, bemerkte sie mit honigsüßer, aber zugleich eiskalter Stimme, »unsere Virgitarierin ist gelandet.« Erst dann registrierte ich den männlichen Beigeschmack der Woche, der ihr dicht auf den Fersen folgte und dabei so aufgelöst und schwelläugig wirkte, wie man eben aussieht, wenn man eine Weile mit meiner Schwester allein war.
    »Ja, auch wenn es dich enttäuscht«, antwortete ich, während ich meinen Rucksack geräuschvoll zu Boden fallen ließ. »Kann ich dir helfen, das Haus von sämtlichen Wertsachen zu befreien, oder machst du das lieber allein?«
    Janices Lachen klang wie ein kleines Windspiel auf der nachbarlichen Veranda, das dort nur hängt, um einen zu ärgern. »Das ist Archie«, informierte sie mich auf ihre geschäftsmäßiglockere Art, »er wird uns für diesen ganzen Schrott zwanzig Riesen geben.«
    Ich blickte den beiden voller Abscheu entgegen. »Wie großzügig von ihm. Offensichtlich hat er eine Vorliebe für Müll.«
    Janice warf mir einen eisigen Blick zu, riss sich dann aber am Riemen. Sie wusste sehr gut, dass mir nicht das Geringste an ihrer guten Meinung lag und ihre Wut mich nur amüsierte.
    Ich bin vier Minuten vor ihr zur Welt gekommen. Egal, was sie tat oder sagte, ich würde immer vier Minuten älter sein. Obwohl Janice sich selbst als den Turbohasen und mich als mühsam vorankrabbelnden Igel sah, wussten wir beide, dass sie um mich herum so viele großspurige Haken schlagen konnte, wie sie wollte, und dennoch nie den winzigen Abstand zwischen uns aufholen konnte.
    »Tja«, meinte Archie mit Blick auf die Tür, »ich bin dann mal weg. War nett, Sie kennenzulernen, Julia - Sie heißen doch Julia, nicht wahr? Janice hat mir alles über Sie erzählt ...« Er lachte nervös. »Also, lasst euch nicht unterkriegen! Macht Frieden, nicht Liebe, wie es so schön heißt.«
    Janice winkte Archie nach, bis er die Tür hinter sich zufallen ließ. Sobald er jedoch außer Hörweite war, verwandelte sich ihr Engelsgesicht wie bei einem Halloween-Hologramm in eine teuflische Fratze. »Schau mich nicht so an!«, fauchte sie. »Ich versuche nur, ein bisschen Geld für uns herauszuschlagen. Was man von dir ja nicht behaupten kann, oder?«
    »Ich habe auch nicht deine Art von ... Ausgaben.« Ich nickte zu ihren neuesten Errungenschaften hinüber, die sich unter dem engen Kleid rund und deutlich abzeichneten. »Sag mal, Janice, wie schaffen sie es eigentlich, dieses ganze Zeug in dich hineinzustopfen? Durch den Nabel?«
    »Sag mal, Julia«, äffte Janice mich nach, »wie fühlt es sich eigentlich an, nie etwas in sich reingestopft zu bekommen? Überhaupt nie!«
    »Entschuldigen Sie, meine Damen«, unterbrach uns Umberto und trat mit höflicher Miene zwischen uns, wie er es schon so viele Male zuvor getan hatte, »aber ich schlage vor, wir verlegen diesen spannenden Wortwechsel in die Bibliothek.«
    Bis wir Janice einholten, hatte sie sich bereits über Tante Roses Lieblingssessel drapiert und einen Gin Tonic auf dem Kissen abgestellt, das ich in meinem letzten Jahr an der Highschool mit einem Fuchsjagdmotiv bestickt hatte, während meine Schwester auf der Jagd nach zweibeiniger Beute war.
    »Was ist?« Sie blickte uns mit kaum verhohlener Abneigung entgegen. »Glaubt ihr nicht, dass sie mir die Hälfte ihrer alkoholischen Getränke hinterlassen hat?«
    Es war typisch Janice, einen Streit vom Zaun zu brechen, obwohl gerade jemand gestorben war. Ich wandte ihr den Rücken zu und ging zur Terrassentür hinüber. Draußen standen Tante Roses geliebte Terrakottatöpfe aufgereiht wie ein Spalier von Trauernden. Die Blüten hingen tief herab. Ein ungewohnter Anblick. Sonst hatte Umberto den Garten immer perfekt im Griff, aber vielleicht war ihm nun, da es seine Arbeitgeberin und dankbare Zuhörerin nicht mehr gab, auch
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