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Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.

Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.

Titel: Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Geschehnisse miterlebt in der nächsten Umgebung des ersten flavischen Kaisers und des zweiten, als Tätiger und als Leidender, als Römer, Jude und Weltbürger. Hat schließlich die klassische Geschichte dieses jüdischen Krieges geschrieben. Ist gefeiert worden wie wenige andere und erniedrigt und beschimpft wie wenige andere. Jetzt ist er müde der Erfolge und der Niederlagen, das heftige Tun ist ihm schal geworden, er hat erkannt, daß seine Aufgabe und seine Kraft in der Betrachtung liegen. Nicht Geschichte zu machen, ist er eingesetzt von Gott und von den Menschen, sondern die Geschichte seines Volkes zu ordnen und aufzubewahren, ihren Sinn zu erforschen, ihre Träger beispielhaft hinzustellen zum Ansporn und zur Warnung. Dazu ist er da, und er ist es zufrieden.
      Ist er zufrieden? Die schöne und unweise Stelle über den König Saul zeugt nicht dafür. Er ist fast fünfzig, aber den ersehnten Gleichmut hat er noch nicht gefunden.
      Er hat alles getan, ihn sich zu erwerben. Durch keinerlei Bemühungen um äußern Erfolg hat er sich von seinem Werk ablenken lassen. Nichts von ihm ist während dieser ganzen vier Jahre an die Öffentlichkeit gelangt. Während Vespasian und Titus ihm freundlich gesinnt waren, hat er keinen Finger gerührt, um an den Kaiser von heut, an den mißtrauischen Domitian heranzukommen. Nein, es ist in dem stillen, abseits lebenden Josef dieser letzten Zeit nichts mehr von jenem früheren, heftigen, betriebsamen.
      Die Sätze über den dunkeln Mut des Königs Saul, die er da geschrieben hat, sind schön und hinreißend, und die »Eiferer des Tages« würden sie mit Begeisterung lesen. Aber ach, gerade das sollen sie ja nicht. Nicht in der Begeisterung sollen sie sich üben, sondern in der Vernunft, in der schlauen Geduld. Sie sollen sich fügen und kein zweites Mal sinnlos gegen Rom die Waffen erheben.
      Warum wohl sind ihm gerade heute die schönen und verruchten Sätze über den König Saul in die Feder gekommen? Er hat es gewußt, schon während er die Worte hinschrieb; er hat es nicht wissen wollen, doch jetzt kann er sein Wissen nicht länger vor sich selber verbergen. Es geschah, weil ihm gestern Paulus begegnet ist, sein Junge, der Sechzehnjährige, der Sohn seiner geschiedenen Frau. Josef hat diese Begegnung nicht wahrhaben wollen, hat sich’s nicht eingestehen wollen, daß der junge Mensch, der da an ihm vorbeiritt, sein Paulus sei. Er hat sich befohlen, dem Jungen nicht nachzuschauen, aber sein Herz hat einen Sprung getan, und er hat gewußt: es war Paulus.
      Ein kleines Stöhnen kommt aus dem Munde des im Halbdunkel sitzenden Mannes. Wie hat er seinerzeit geworben um diesen seinen Sohn Paulus, den Halbfremden, den Sohn der Griechin, wieviel schwere Schuld hat er auf sich geladen seinethalb. Der Junge hat trotzdem alles ausgetilgt, was er mit soviel scheuer Beharrlichkeit in ihn einzusenken versucht hat, und jetzt er hat für ihn, den Vater, den Juden, nur Verachtung. Josef denkt an die schauerliche Stunde, da er unter dem Joch des Siegers hat durchschreiten müssen, unter dem Bogen des Titus, er denkt daran, wie ihm da für den Bruchteil einer Sekunde das Gesicht seines Sohnes Paulus erschienen ist. Unter den vielen tausend höhnischen Gesichtern jener dunkeln Stunde wird es ihm unvergeßbar bleiben, eingefressen ins Herz, dieses blaßbräunliche, hagere, feindselige Gesicht. Nichts anderes als die Erinnerung an dieses Gesicht war es, Selbstverteidigung gegen dieses Gesicht, die ihm die Feder geführt hat, als er jene Sätze schrieb über den Judenkönig Saul.
      Denn ach, in die Schlacht zu gehen, auch wenn sie sichern Untergang bringt, wie leicht ist das, gemessen an dem, was er damals auf sich genommen hat. Herzzerdrückend ist es, schmachvoll, Bewunderung zeigen zu müssen für den frechen Sieger, weil man weiß, daß solche Selbsterniedrigung der einzige Dienst ist, den man dem eigenen Volke leisten kann.
      Später, in hundert Jahren oder in tausend, wird man das erkennen. Heute aber, an diesem neunten Kislev des Jahres
    3847 nach Erschaffung der Welt, ist es ihm ein geringer Trost, daß ihn die sehr viel Späteren einmal bewundern werden. In seinen Ohren ist nichts von diesem Ruhm, in seinem Herzen ist nichts als die Erinnerung an jenes Geschrei aus hunderttausend Mündern: »Lump, Verräter, Hund«, und darüber, lautlos und doch lauter als alle anderen Stimmen, die seines Sohnes Paulus: »Mein Vater, der Lump, mein Vater, der Hund.«
      Weil er sich
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