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Josefibichl

Josefibichl

Titel: Josefibichl
Autoren: Marc Ritter
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rechts außen am Hang hinaufgingen, sicher immer stracks auf den goldenen Jesus, der in Beinahe-Lebensgröße sehr beeindruckend vom Kreuz den Hügel herunterstrahlte. Oben unterm Feldkreuz blieben die Spaziergänger und Wanderer dann stehen, um sich das von dort bietende Panorama, das die komplette Bergkulisse von Alpspitze bis Kramer umschloss, zu genießen. Keiner suchte da die darunterliegende Wiese mit seinen Blicken ab. Und so ein Mönch in dunkelbrauner Kutte konnte natürlich als großes Stück Holz durchgehen.
    Hartinger verspürte den Drang, sich den Fundort noch einmal genau anzusehen und auch zu fotografieren. Schließlich hatte er das zwei Jahrzehnte lang fast täglich getan. Doch die Polizisten hatten den Ort in der Zwischenzeit ganz bestimmt »weiträumig abgesperrt«, wie sie wohl in ihren Bericht tippen würden.
    Hartingers Gedanken blieben an seiner Unterhaltung mit seinem alten Schulkameraden Bernbacher hängen. O mei, der Bernbacher. »Pfaffenhasser« – was wusste der Bernbacher schon, warum er damals den Kaplan von Partenkirchen öffentlich als Schwein bezeichnet und den Käfer angezündet hattet »Ortsbekannter Gewalttäter Hartinger« – das hatte sich also ins kollektive Bewusstsein der Gemeinde oder wenigstens ins schlichte des Oberbullen Bernbacher eingeschrieben.
    Nein, der Bernbacher hatte wirklich keine Ahnung, was damals vor über zwanzig Jahren geschehen war.
    Dann dachte er an einen weiteren Punkt seiner Tagesbilanz, der ihm noch Ärger einbringen konnte: Dr. Theresa Frankenthaler war nicht Zahnärztin, wie er Bernbacher erzählt hatte. Das war ihre im selben Haus niedergelassene ältere Schwester Irene. Dr. Theresa Frankenthaler als frisch in Partenkirchen niedergelassene Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie war seine Therapeutin. Deren Dienste ausgiebig in Anspruch zu nehmen, hatte ihm der Betriebsarzt der großen Münchner Tageszeitung wärmstens ans Herz gelegt, bevor er sich in der Personalabteilung des Verlags seine Papiere aus achtzehn Jahren Angestelltendasein und den letzten vier Jahren als »fester Freier« abgeholt hatte.
    Nachdem Hartinger seine Tagebucheinträge abgeschlossen hatte, ging er online, um die Nachrichtenlage zu checken. Die Onlineredaktionen von Süddeutsche, Merkur und Bild München schlummerten bereits den Schlaf der Festangestellten. Auch Merkur-Online, sonst schnell mit dem Abtippen des Polizeiberichts, hatte ebenso wenig etwas von einem toten Mönch zu berichten wie die Internetausgabe des Spiegel. War ja auch schon nach acht Uhr abends, da hielt es den Onlineredakteur schon seit Stunden nicht mehr an seinem Mac, wie Hartinger wusste.
    Lange konnte es nicht mehr dauern, bis auch die verschnarchtesten Nachrichtenmenschen auf die Story ansprangen. Und die Szenerie mit totem Mönch unter Feldkreuz hatte natürlich schon in ruhigen Zeiten etwas. Weil aber derzeit die Grundfesten der heiligen Mutter Kirche durch die Missbrauchs – und Misshandlungsfälle von Ettal bis Rom erschüttert wurden, war das hier ein ganz großes Ding.
    Hartinger wollte die Wette, ob wohl die Kollegen von Bild München oder die LKA-Beamten zuerst an seiner Türe klopften, nicht mal gegen sich selbst eingehen. Womöglich würden die hier im Haus der unbescholtenen Witwe Schnitzenbaumer aufeinandertreffen. Wenn das schon nicht auszuschließen war, dann wäre der armen alten Dame wenigstens zu gönnen, dass sich diese beiden fremden Truppen nur kurz auf ihrem Anwesen aufhielten.
    Also schwang er sich aufs Fahrrad und radelte hinüber in den Ortsteil Garmisch, um im dortigen Bräustüberl der Dinge zu harren. Ein Hungergefühl hatte sich bereits unter der Dusche eingestellt.
    »Gut Nacht, Frau Schnitzenbaumer, ich bin noch weg, machen Sie niemandem die Türe auf!« Seiner Vermieterin weitere Erklärungen durch die im Erdgeschoss offen stehende Türe zuzurufen war sinnlos. Und ob sie die erteilten Anweisungen verstanden hatte, war nicht sicher. Frau Schnitzenbaumer war reichlich mit Schwerhörigkeit gesegnet. Dorat, wie man hier sagte. Und so standen die Chancen gut, dass sie wirklich niemandem öffnen würde.
    Der Hartinger Gonzo war also tatsächlich wieder da. Ganz schön zugelegt, der Freund, in den letzten zwanzig Jahren. Aber mei . . . Bernbacher schaute hinunter auf seinen eigenen Bauch. Und ausgerechnet der Hartinger trug seinen übergewichtigen Körper zum Joggen und stolperte dort, wo Hunderte von Wanderern pro Woche entlanghatschten, als Erster über einen Toten.
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