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Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Titel: Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
Autoren: Henning Mankell
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»In dieser Gegend weiß man nie, wie das Wetter wird.«
    »Auf jeden Fall weiß man, dass man nicht hier wohnen sollte«, antwortete Joel und gab sich gar keine Mühe zu verbergen, dass er wütend war.
    »Ich hab mir heute freigenommen«, sagte Samuel. »Warum das denn?«
    »Ich will bei deiner Schulabschlussfeier dabei sein.« Joel strich sich gerade eins der drei Butterbrote, die er jeden Morgen aß. Er sah Samuel fragend an. Hatte er richtig gehört? »Warum?«, fragte er.
    »Es ist ein großer Tag«, sagte Samuel einfach. »Dein letzter Schultag. Das gehört sich doch so, dass ich dabei bin, oder?«
    Samuel war noch nie mit auf einer Schulabschlussfeier gewesen. In den ersten Jahren hatte Joel das nicht gut gefunden. Der Einzige in der Klasse zu sein, von dem nicht ein einziger Elternteil zur Abschlussfeier kam. Dann hatte er sich daran gewöhnt und es war ihm egal. Joel überlegte rasch, was es bedeuten könnte. War es gut oder schlecht? Er beschloss, dass es gut war, da Samuel sich ausnahmsweise ordentlich rasiert hatte. Er merkte, dass es ihn außerdem froh machte. Nachdem der Brief von Elinor gekommen war, hatte sich etwas verändert. Nicht, dass sie jetzt abends immer über Mama Jenny und die Reise redeten, die sie in wenigen Tagen machen würden, aber Samuel wusste, dass Joel an nichts anderes dachte. Und Joel wusste, dass es Samuel genauso ging »Du darfst aber erst um zehn kommen«, sagte Joel. »Vorher üben wir noch. Und bereiten den Klassenraum vor.« Eigentlich hätte er schon gestern Abend Blumen pflücken müssen. Aber das hatte er nicht geschafft. An der Ecke der Kirchstraße und dem Snällmansweg waren zwei Autos zusammengestoßen. Joel war in der Nähe gewesen und hatte neugierig beobachtet, wie sich die beiden Fahrer stritten. Joel ging zum Küchenfenster und stellte sich auf Zehenspitzen. Unter einem Baum, wohin kein Schnee gefallen war, leuchteten ein paar gelbe Blumen.
    Er aß seine Butterbrote und putzte sich die Zähne. Dann fiel ihm ein, dass er wohl sein bestes Hemd und eine andere Hose zum Schulabschluss anziehen sollte. Er musste sich beeilen, wenn er nicht zu spät kommen wollte. Samuel saß am Küchentisch und sah ihn an. »Vielleicht sollten wir ein Geschenk mitnehmen«, sagte er.
    Joel verstand nicht, was er meinte. Ein Geschenk für wen? Für die Lehrer in der Schule? Dann wurde ihm klar, dass Samuel Mama Jenny meinte. An ein Geschenk für sie hatte er auch schon gedacht.
    »Wir müssen was mitnehmen«, sagte Samuel. »Beeil dich jetzt, damit du nicht zu spät kommst.«
    Joel polterte die Treppe hinunter. Manchmal konnte Samuel ihn überraschen. Natürlich mussten sie ein Geschenk für Mama Jenny haben.
    Er war schon auf der Straße, da fielen ihm die Blumen ein. Er lehnte das Fahrrad gegen den Zaun und lief zurück. Sieben Himmelschlüsselchen, die die Köpfe hängen ließen, mussten reichen. Er riss ein wenig Gras aus, damit es nach mehr aussah. Auf dem Weg zur Schule versuchte er sich auszudenken, was sie Mama Jenny schenken könnten. Aber er konnte sich nicht konzentrieren. Erst musste er den Schulabschluss hinter sich bringen.
    Er kam im allerletzten Augenblick in die Klasse. Frau Nederström sah ihn missbilligend an. Aber sie sagte nichts. Es war der letzte Tag. Dann würden sie sich trennen. Und Frau Nederström war genauso leicht gerührt, wie sie böse werden konnte. Heute würde sie bestimmt weder mit Joel noch mit einem anderen schimpfen.
    Um zehn Uhr waren sie mit den Vorbereitungen in der Aula fertig. Ganz hinten an der Wand drängten sich die Eltern. Joel hatte Samuel kommen sehen. Jetzt stand er eingeklemmt in einer Ecke. Frau Nederström war guter Laune und stellte nur Fragen, die sie auch beantworten konnten. Joel bekam eine Geografie-Frage. Nach dem Abfragen sangen sie einen Choral und zogen dann klassenweise zur Kirche. Der Schnee, der in der Nacht gefallen war, war schon wieder geschmolzen. In der Kirche hielt der Oberlehrer eine Rede, alle hatten ihre Zeugnisse bekommen, und dann war es vorbei. Frau Nederström hatte Träne n in den Augen, als Joel ihr die Hand gab. Er war fast verlegen. »Du hättest auf die Realschule gehen sollen«, sagte sie. »Es gibt da andere Sachen, die ich zuerst tun muss«, antwortete Joel.
    Er hatte fast ein ganzes Jahr darüber nachgedacht, ob er die Prüfung für die Realschule machen sollte. Aber die Vorstellung, weitere vier Jahre auf die Schule zu gehen, war ihm zu viel. Jetzt wollte er weiter. Hinaus in die Welt.
    Samuel
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