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Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Titel: Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
Autoren: Henning Mankell
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können wir hier schlafen. Genauso gut wie im Schlafwagen.«
    Joel setzte sich ans Fenster. Es war Sommer und hell draußen. Schon waren sie im Wald. Der Zug fuhr noch schneller. Die Baumstämme rasten am Zugfenster vorbei. Es gibt unendlich viele Bäume, dachte Joel. Samuel würde sie niemals alle fällen können. Selbst wenn er tausend Jahre arbeitete. Die Abteiltür wurde geöffnet und der Schaffner kam herein. Samuel reichte ihm die Fahrkarten.
    »In Krylbo müssen Sie umsteigen«, sagte der Schaffner. Samuel steckte die Fahrkarten in seine innere Jackentasche.
    »In Krylbo müssen wir umsteigen«, sagte er. »Aber das dauert noch. Eine ganze Nacht. Und einen Vormittag.« Nachdem Joel all die Bäume langweilig geworden waren, beschloss er auf Entdeckungsreisen durch den Zug zu gehen. Samuel hatte sich schon mit dem Koffer unterm Kopf auf der einen Bank ausgestreckt.
    Joel ging hinaus in den Gang. Er trank Wasser aus einer Karaffe. Dann betrachtete er die Landkarte, die an der Wand hing, sehr genau. Mit dem Finger machte er die Reise nach Stockholm. Zuerst würden sie nach Orsa kommen, wenn die Wälder hinter ihnen lagen, dann nach Mora, Borlänge und noch weiter südlich lag Krylbo. Dort würden sie umsteigen. Dann hatten sie mehr als die Hälfte des Weges hinter sich. Aber es war immer noch weit bis Stockholm. Joel wanderte durch die Wagen. Es waren viele Leute im Zug. Viele standen in den Gängen und rauchten. Aus einem Abteil war Gesang zu hören. Als Joel die Erste-Klasse-Wagen erreichte, war er am Ende. Die Tür war abgeschlossen. Er musste wieder zurück. Die, die sich die erste Klasse leisten konnten, wollten nicht gestört werden. Fast wäre Joel mit einem Mädchen zusammengestoßen, das aus einem Abteil kam. Sie war in seinem Alter. Zu seinem Ärger bemerkte er, dass er rot wurde. Das wollte er nicht. Bald war er wieder in dem Abteil, in dem Samuel wartete. Sie hatten sich etwas zu essen vorbereitet, das bis Stockholm reichen musste. Joel spürte, dass er Hunger hatte. Vorher hatte er nichts essen können, weil er so nervös gewesen war. Er hatte sich alles Mögliche vorgestellt, was passieren könnte, sodass sie doch nicht fahren konnten. Samuel hätte es sich anders überlegen können oder was war, wenn der Zug einfach nicht kam? Er selber hätte krank werden können. Er wusste, das war kindisch. Nichts, was sich ein Fünfzehnjähriger ausmalen sollte. Aber er konnte nichts dagegen tun, dass er kindisch war. Er war eben, wie er war.
    »Wollen wir nicht was essen?«, fragte er Samuel.
    »Schon?«
    »Ich hab Hunger.«
    Samuel begann das Essen auszupacken. Es gab Butterbrote, gekochte Eier und Kartoffeln. Er hatte eine Thermoskanne mit Kaffee und eine Flasche Milch dabei. Joel aß. Aber Samuel war nicht hungrig. Vor dem Zugfenster rasten die Baumstämme vorbei. Die Räder sangen auf den Schienenstößen.
    Später am Abend, als Samuel mit dem Koffer unterm Kopf eingeschlafen war, dachte Joel, dass Reisen langweilig und aufregend zugleich ist. Die Bäume vor dem Fenster schienen überhaupt kein Ende zu nehmen. Das war langweilig. Wie ein Film, in dem nichts passierte. Trotzdem konnte Joel sich nicht vom Fenster losreißen. Manchmal blitzte ein See auf. Oder ein Haus glitt vorbei. Das Aufregende war, dass er sich mit jeder Minute, die verging, mit jeder Fuge, über die die Räder rollten, sich weiter und weiter von zu Hause entfernte. Davon hatte er immer geträumt.
    Sie würden ja nur nach Stockholm reisen. Trotzdem war es dem Ende der Welt ein Stück näher.
    Das es gab und doch nicht gab.
    Der Schaffner ging am Abteil vorbei. Zugschaffner hatte auch auf Joels Liste gestanden. Aber er hatte es durchgestrichen. Das war überhaupt nicht mit dem Beruf eines Seemanns zu vergleichen. Eisenbahnschienen und eine Fahrrinne, in der Feuer blinkten, konnten niemals dasselbe sein.
    Joel zog vorsichtig Samuels Uhr hervor, die er in der Jackentasche hatte. Schon Mitternacht. Er steckte sie zurück und streckte sich auf der Bank aus, die Füße zum Fenster, damit er weiter hinaussehen konnte. Die Baumstämme rasten.
    Er versuchte sich vorzustellen, wie es war, wenn Samuel und er Mama Jenny gegenüberstanden. Würde sie Samuel die Hand geben? Und was würde sie mit ihm, Joel, machen? Ihn umarmen? Oder ihm auch nur die Hand geben? Joel richtete sich auf. Elinor hatte Samuel den Brief geschrieben, nicht Mama Jenny selber. Warum hatte sie nicht geschrieben? Vielleicht wollte sie sie gar nicht treffen? Vielleicht würde der
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