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Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Titel: Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
Autoren: Henning Mankell
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größer geworden war. Er konnte auch nicht sehen, dass die Füße zu groß für die Stiefel geworden waren. Er hätte lieber einmal am Tag seine Füße begucken sollen. Aber wer beguckte schon seine Füße im Spiegel ?
    Joel prüfte die Kartoffeln mit einer Gabel. Noch fünf Minuten. Während er wartete, deckte er den Tisch. Manchmal stellte er einen dritten Teller dazu. Wie zur Probe. Als ob Mama Jenny doch noch da wäre. Er überlegte, wo sie sitzen würde. Zwischen ihnen? Oder auf seinem eigenen Platz nah beim Herd? Er entschied, dass sie dort sitzen würde. Sie wäre diejenige, die das Essen vom Herd holt.
    Als alles fertig war, die Blutwurst gebraten und mit einem Deckel abgedeckt, damit sie nicht kalt wurde, die Preiselbeermarmelade aus dem Vorratsschrank geholt war, musste er nur noch auf Samuel warten. Joel machte es wie immer. Er setzte sich in die Fensternische und sah auf die Straße hinaus. Dort hatte er gesessen, so lange er sic h erinnern konnte. Von diesem Fenster hatte er einmal den geheimnisvollen Hund gesehen. Dort saß er, wenn er schwere Entscheidungen treffen musste. Oder wenn er traurig war.
    Eigentlich war diese Fensternische sein Zuhause. Wie die Glasvitrine »Celestines« Zuhause war.
    Joels Glasvitrine war die Fensternische. Das war sein Haus auf dieser Welt.
    An diesem Platz hatte er auch zum ersten Mal begriffen, dass er sich wirklich veränderte. Er wurde größer. Die Fensternische wurde langsam zu eng für ihn. Früher hatte er immer genügend Platz gehabt. Er war ein Mensch, der wuchs.
    »Celestine« war ein Modellschiff, das niemals wachsen würde.
    Ihre Masten würden niemals durchs Glas dringen.
    Joel versuchte zu erkennen, ob es wieder angefangen hatte zu schneien. Der Himmel war bewölkt. Und schwer. Wie eine aufgespannte Plane, die durchhing von all dem Schnee, der auf ihr lastete. Wenn diese Plane riss, begann all der Schnee zur Erde zu fallen.
    Natürlich wusste Joel, dass es nicht so war, wie er dachte. Da oben gab es keine Plane. Schnee war Regenwasser, das zu Schnee gefroren war.
    Im Sommer fiel warmer Regen, im Winter kalter.
    Aber die Vorstellung von der Plane war besser. Leichter zu verstehen.
    Dann sah er Samuel kommen. Ein Schatten auf der anderen Straßenseite.
    Ein Schatten mit krummem Rücken.
    Nach dem Mittagessen ging Joel in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Er hörte Samuel Kaffee kochen und wie er sich dann ans Radio setzte und die Nachrichten hörte. Joel hatte viel vorzubereiten. Seine Gelübde für das neue Jahr legte man nicht mal eben so ab. Es musste genau um Mitternacht geschehen. Da er spät auf sein würde, legte er sich ins Bett und deckte sich zu. Am besten wäre gewesen, wenn er ein paar Stunden hätte schlafen können. Sicherheitshalber stellte er den Wecker auf dreiundzwanzig Uhr und legte ihn unter die Bettdecke.
    Plötzlich merkte er, dass es im Innern der Wand knabberte, ganz nah an seinem Ohr. Er drückte die Wange gegen die kalte Tapete. Jetzt war die Maus deutlich zu hören. Sie war nur einen Zentimeter von ihm entfernt. Trotzdem wusste sie nicht, dass Joels Wange so nah war.
    Joel klopfte mit dem Fingerknöchel gegen die Wand. Die Maus wurde still. Dann begann sie wieder zu knabbern. Joel lauschte weiter. Bald war er eingeschlafen.
    Als der Wecker unter der Decke klingelte, dauerte es eine
ganze
Weile, ehe Joel wirklich wach war. Dann erinnerte er sich an das, was er geträumt hatte, wie er selbst drinnen in der Wand gewesen war und nach der knabbernden Maus in einem komplizierten Höhlensystem zwischen den Holzbalken gesucht hatte.
    Aber jetzt war es still. Die Maus war nicht mehr zu hören. Nur Samuels Schnarchen drang ins Zimmer. Joel richtete sich auf. Er musste sich mit den Armen abstützen und schlief trotzdem fast wieder ein. Als ihm die Augen zufielen, zuckte er zusammen, als ob er sich verbrannt hätte. Er ging zum Fenster, öffnete es einen Spalt und kratzte ein bisschen Schnee vom Fensterblech. Dann holte er tief Luft und rieb sich das Gesicht mit dem Schnee ein. Jetzt war er richtig wach. Er spähte in die Nacht hinaus. Der Himmel war ganz klar geworden, während er schlief. Die Sterne funkelten.
    Vorsichtig machte er das Fenster wieder zu, zog sich an und tappte mit dem Rucksack in der Hand in die Küche. Er schlüpfte in seine Jacke und nahm Schal und Mütze. Seine Fäustlinge hatte er wieder gefunden, während er darauf wartete, dass die Kartoffeln gar wurden. Er hängte sich den Rucksack über, nahm die
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