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Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Titel: Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
Autoren: Henning Mankell
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und mit Schweiß im Gesicht der neuen Verkäuferin etwas erzählen, was sie gar nichts anging.
    Joel merkte, dass er rot wurde. Er wurde immer rot, wenn er wütend war.
    »Trotzdem ist er sehr tüchtig«, sagte die dicke Frau. Joel wünschte, sie würde platzen und auf der Stelle sterben. Die Verkäuferin lächelte. Aber sie sagte nichts. Sie wog die Blutwurst ab. Joel bezahlte. Die ganze Zeit fürchtete er, die dicke Frau, die hinter ihm stand und ihren dicken Bauch in seinen Rücken drückte, würde noch etwas sagen. Aber das tat sie nicht.
    Als Joel wieder auf der Straße war, merkte er, dass er sich schämte. Er wollte nicht einkaufen. Er wollte nicht mehr seine eigene Mama sein. Aber außerdem wollte er sich rächen. Die dicke Frau war natürlich nicht tot umgefallen, wie er es gewünscht hatte. Es war, wie er ja schon immer gesagt hatte: Die Erwachsenen wussten nicht, was zu ihrem eigenen Besten war.
    Er überquerte die Straße und stellte sich mitten zwischen zwei Straßenlaternen, wo es dunkel war. Ihm war kalt an den Händen, er hatte ja keine Handschuhe. Die Papiertüte mit der Blutwurst stopfte er in die Innentasche seiner Jacke. Eigentlich müsste er sich beeilen. Das Essen sollte möglichst fertig sein, wenn Samuel nach Hause kam. Außerdem war Silvester. Er müsste noch viel für den Abend vorbereiten. Aber er konnte die alte Ziege nicht vergessen, die ihn vor der neuen Verkäuferin blamiert hatte.
    Er fragte sich, wer sie war. Vielleicht Ehnströms Tochter? Als er die Blutwurst bezahlte, hatte er sie heimlich angesehen. Sie war jünger, als er zunächst geglaubt hatte. Er tippte auf fünfundzwanzig Jahre, obwohl er sich oft im Alter der Menschen täuschte. Von Frau Nederström hatte er geglaubt, sie sei neunzig. Aber jemand hatte ihm zu seiner großen Überraschung erzählt, dass sie noch nicht mal fünfzig war.
    Da war noch etwas anderes an der neuen Verkäuferin, was ihn neugierig machte. Sie sprach anders. Sie war nicht von hier. Ohne ganz sicher zu sein, riet er, dass sie aus Stockholm kam, von so weit her. Letztes Jahr im Sommer hatte ein Zirkus im Ort gastiert. Joel hatte wie üblich geholfen, Stühle zu tragen und das Zelt aufzurichten, um an eine Freikarte zu kommen. Er hatte etwas für einen der Zirkusarbeiter erledigt. Kaffee hatte er gekauft. Der Zirkusarbeiter war aus Stockholm und sprach einen sehr energischen Dialekt. Die neue Verkäuferin bei Ehnströms sprach genauso. Wenn er sich richtig erinnerte.
    Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, weil die dicke Frau aus dem Laden kam. Joel presste die Zähne zusammen und hoffte, so sehr er konnte, dass sie auf der Treppe ausrutschen und sich zu Tode stürzen würde. Aber das tat sie natürlich nicht. Nur unschuldige Menschen rutschten aus und kamen zu Tode. Niemals richtig schlimme Verbrecher. Dicke Frauen, die über Sachen redeten, die sie nichts angingen, auch nicht.
    Joel sah, wie sie ihre Tasche an den Lenker eines Tretschlittens hängte. Er war braun gestrichen und hatte ganz vorn an den Kufen sehr ungewöhnliche Spitzen.
    Joel prägte sich den Schlitten ein. Er wusste, wo die Frau wohnte. Bei einem seiner Ausflüge abends durch den Ort würde er gegen ihren Schlitten pinkeln.
    Er sah sie um die Straßenecke verschwinden. Immer noch war sie nicht geplatzt. Joel lief nach Hause. Ihn fror. Seine Hände waren ganz weiß. Unterwegs dachte er an die neue Verkäuferin bei Ehnströms.
    Als er nach Hause kam und sich die Stiefel ausgezogen hatte, setzte er die Kartoffeln auf. Dann kroch er auf sein Bett und rieb sich die Zehen. Sie taten weh. Die Stiefel waren wirklich zu eng. Er überlegte, ob er humpeln sollte, wenn Samuel nach Hause kam. Oder sich vielleicht über den Fußboden schleppen? Als ob seine Füße in den zu engen Stiefeln lahm geworden wären. Dann konnte Samuel kaum anders, dann musste er ihm neue kaufen.
    Joel beschloss, bis zum nächsten Tag zu warten. Dann würden die Stiefel auch noch zu eng sein. Heute Abend hatte er so viel anderes zu erledigen, was wichtiger war. Während er darauf wartete, dass die Kartoffeln gar wurden, ging er in die Toilette und betrachtete sein Gesicht in Samuels Rasierspiegel. Das hatte er sich so angewöhnt. Ein Neujahrsgelübde, das er vor einem Jahr abgelegt hatte. Dass er sein Gesicht jeden Nachmittag im Spiegel betrachten wollte. Er wollte untersuchen, wie es sich veränderte. Aber jetzt, nach einem Jahr, fand er, er sähe immer noch gleich aus. Im Spiegel konnte er nicht entdecken, dass er
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