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Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Titel: Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
Autoren: Henning Mankell
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wandte er sich in der Tür um und sah Joel an. Er wirkte oft bekümmert, wenn er auf dem Weg zur Arbeit war. Das war auch etwas, das Joel nicht gefiel. Davon konnte er Bauchschmerzen kriegen. In solchen Augenblicken konnte er sich unmöglich vorstellen, woran Samuel dachte. Es könnte natürlich Mama Jenny sein, die eines Tages einfach verschwunden war. Das könnte Samuel genauso traurig machen, wie es Joel traurig machte.
    Oder dachte er vielleicht an das Meer, das er auch heute wieder nicht sehen würde? Zwischen all den Kiefern und Tannen, die er fällte und dann von den Zweigen befreite und entrindete.
    »Träum nicht«, sagte er. »Sonst kommst du zu spät zur Schule.«
    »Ich geh, wenn ich meine Stiefel geschnürt hab«, antwortete Joel.
    »Jetzt ist es wieder Winter«, sagte Samuel seufzend. »Und der Winter wird sicher lang, dunkel und kalt.«
    »Wir können ja wegziehen«, antwortete Joel. »Morgen.« »Wenn das so einfach wäre«, sagte Samuel. »Aber das ist es nicht.«
    Dann ging er. Joel hörte seine Schritte auf der Treppe. Unten schlug die Haustür zu.
    Joel schnürte seine Stiefel. Zog die Jacke an, setzte sich die Mütze auf und legte den Schal um. Die Fäustlinge konnte er nicht finden. Er musste sich entscheiden, entweder nach ihnen zu suchen oder zu spät zur Schule zu kommen. Er entschied sich gegen die Fäustlinge. Noch war der Winter nicht sehr kalt. Er hatte ja gerade erst angefangen. Joel beschloss auch, das Fahrrad stehen zu lassen. Es konnte ein schönes Gefühl sein, zum ersten Mal in Winterstiefeln zu gehen und den dünnen Pulverschnee aufzuwirbeln. Aber schon während er die Treppe hinunterging, merkte er, dass die Stiefel zu eng geworden waren. Er brauchte ein Paar neue. Aber wie sollte er Samuel davon überzeugen? Schuhe waren teuer.
    »Es ist teuer, arm zu sein«, pflegte Samuel zu sagen. Joel glaubte fast zu verstehen, was er damit meinte.
    Er kam auf die Straße. Es war immer noch dunkel. Nur ein grauer Streifen Eicht sickerte auf die Tannenwälder nieder, die rund um den Ort Wache standen.
    Die Schule wartete. Frau Nederström war bestimmt schon gekommen. Wenn er sich beeilte, würde er es noch rechtzeitig schaffen.
    Er wirbelte Schnee mit seinen Füßen auf und dachte an den Abend, an dem er sich selbst feierliche Neujahrsgelübde geben würde.
    Der Winter hatte ihn in diesem Jahr erneut hereingelegt. Aber eigentlich machte das nichts.
    Das Wichtigste war, dass das neue Jahr begonnen hatte.

2
    Auf dem Heimweg von der Schule kaufte Joel Blutwurst. Fast immer musste er einkaufen, weil Samuel spät aus dem Wald nach Hause kam. Joel kochte, wusch ab und kaufte ein, Tag für Tag. Samuel dagegen putzte und wusch die Wäsche. Das machte er immer samstags, bevor sie sich hinsetzten und Radio hörten.
    Joel kaufte nicht gern ein. In Ehnströms Lebensmittelladen musste er sich mit Frauen drängeln, die sich nie entscheiden konnten, was sie eigentlich wollten. Hatte er Pech, stieß er mit einer der Mütter seiner Klassenkameraden zusammen. Im letzten Jahr hatte er jedoch eine große Veränderung durchgeführt. Er hatte angefangen nur jeden zweiten Tag einzukaufen. Außerdem kaufte er immer die gleichen Waren am gleichen Wochentag. Alles, damit es schneller ging. Montags gab es Blutwurst mit Kartoffeln. Dazu Preiselbeeren, die Samuel und er im Herbst pflückten und einkochten.
    Ausgerechnet an diesem Montag war nicht alles wie sonst bei Ehnströms. Das merkte Joel sofort, als er den Laden betrat. Ehnström hatte eine neue Verkäuferin. Normalerweise verkaufte Ehnström selber oder seine Frau Klara. Jetzt stand eine andere Frau hinterm Tresen. Aber es war auch keine richtige Frau. Sie war jünger als eine Frau. Joel hatte sie noch nie gesehen. Das machte ihn für einen Augenblick verlegen. »Blutwurst«, sagte er mit energischer Stimme, als er an der Reihe war.
    Sie stand auf der anderen Seite des Tresens und lächelte. »Wie viel?«, fragte sie.
    »Für zwei Personen.« Joel antwortete, wie er immer antwortete.
    »Wenn man sich vorstellt, dass der Junge allein mit seinem Vater lebt und den Haushalt selber macht«, hörte er jemanden hinter seinem Rücken sagen.
    Joel drehte sich blitzschnell um. Eine große, dicke Frau hatte das gesagt. Ihr Gesicht war schweißbedeckt und sie war die Mutter eines Mädchens, das in Joels Klasse ging. In dem Augenblick verabscheute er Mutter und Mädchen. Natürlich hatte sie ihrer Mutter erzählt, dass er keine Mama hatte. Und natürlich musste die dastehen
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