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Jim

Jim

Titel: Jim
Autoren: Thomas Lang
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waren seine Beine ganz in Ordnung. Bei der Begrüßung lächelte Mundt überaus liebenswürdig. Die Männer hatten sich den ganzen Sommer über nicht gesehen. Opitz registrierte mit spontaner Abneigung, dass sein Freund einen schütteren Bart trug. Das fahle Haar war länger geworden, es lag straff am Kopf an. Die engen Radlerhosen betonten sein Geschlecht und seine muskulösen Oberschenkel.
    «Nicht berühren!», rief Opitz, als Mundt nach seiner Hand greifen wollte.
    «Ist es heute wieder schlimm?»
    Mundt sprach etwas zu laut und in dem übertrieben fürsorglichen Ton, den manche Leute alten Menschen gegenüber annehmen. Dabei war er der ältere von beiden. Opitz nickte kaum merklich mit dem Kopf. Die Freunde gingen ins Haus.
    «Wie findest du meinen Bart?»
    «Hast du ihn stehen lassen, damit man dich auf der Straße nicht erkennt?»
    Mundt grinste unwillkürlich. Die Vorstellung schmeichelte ihm offenbar. Vor kreischenden Teenies musste er sich nicht gerade fürchten. Doch er war prominent genug, um mit seinem Gesicht Werbung zu machen. Die letzten Wochen über hatte Opitz das Gesicht seines Freundes in der Stadt auf verschiedenen Plakatwänden gesehen. Vom Baugerüst vor dem Schloss lächelte er zehn Meter groß herab und präsentierte so den neuen Bestseller einer international berühmten Autorin, die seit zwei Jahrzehnten, wie es hieß, literarisches Niveau mit absoluter Leserfreundlichkeit zu verbinden wusste. Für ihren vorigen Roman hatte Mundt sogar in einem Fernsehspot geworben. Opitz brachte es nicht über sich, mehr als fünfzig Seiten von dieser Frau zu lesen. Für ihn war sie eine Unterhaltungsschlampe.
    «Ich bin da auf eine tolle Sache gestoßen», sagte Mundt ohne lange Umschweife. «Es gibt einen Arzt, der Phantomschmerzen mithilfe eines Spiegels therapiert. Er scheint spektakuläre Erfolge zu erzielen.»
    «Ramachandran», ergänzte Opitz matt. «Er behauptet,das Ich sei eine Erfindung des Gehirns. Wir seien uns selbst ebenso fremd wie andere.»
    «Es hört sich so an, als würde sein Ansatz genau auf dein gesundheitliches Problem zutreffen.»
    «Wenn du mich fragst, reproduziert Ramachandran bloß das hinduistische Weltbild der Selbstverleugnung.»
    «Er ist doch Amerikaner.»
    «Ist er nicht. Er lebt bloß da.»
    So ging das, seit die beiden sich kannten. Als Studenten hatten sie zusammen eine kleine, erfolglose Literaturzeitschrift herausgegeben. Über die Qualität eines Textes waren sie dabei so selten einer Meinung gewesen wie über irgendein anderes Phänomen auf der Welt. Im Unterschied zu seinem Freund hatte Mundt mit Beginn seiner Karriere als Kulturjournalist das literarische Schreiben einfach aufgegeben. Opitz verdankte es ihm, dass er überhaupt an die wichtigen Feuilletons herangekommen war.
    «Manchmal bist du so was von verbohrt», sagte Mundt. «Diese Spiegeltherapie könnte dir helfen. Warum lehnst du sie ab? Am Ende fühlst du dich ganz wohl mit deinem Arm da.»
    «Lass uns von was anderem reden.»
    Spontan fiel ihnen aber nichts anderes ein. Die Gelegenheit für einen Small Talk über ihre Erlebnisse im Sommer war vorübergegangen, eine missliche Stimmung breitete sich aus. Mundt legte seinen Fahrradhelm auf der Kommode ab. Er hatte, wie Opitz nunbemerkte, seine Haare am Hinterkopf zu einem kleinen Pferdeschwänzchen zusammengebunden. Das sah unglaublich eitel aus. Vor lauter Verlegenheit wollte Opitz seinen Freund schon in den Garten schicken. Da hörte er Anna ins Haus kommen.
    «Sie hat ein Gartenbett gekauft», wisperte er hastig.
    «Bei Manufactum», ergänzte Mundt.
    Ein Baldachinbett. Ein Himmelszeltbett. Sie hatten sich demnach am Morgen getroffen. Oder Mundt wusste einfach, dass es in diesem Laden Gartenbetten zu kaufen gab. Wollte er Anna beim Aufbauen helfen? Dazu war der kranke Opitz nicht fähig. Es waren doch gar keine Pakete da. Allerdings konnten die noch im Auto liegen. Das Bett bietet zwei Personen Platz, fiel Opitz ein. Unwillkürlich stellte er sich vor, wie Mundt mit seiner Frau in leidenschaftlicher Umarmung auf die nun erdbeerrote Matratze sank. Die Abendsonne sandte ihre milden Strahlen schräg durch das Viereck, das die Pfosten des Baldachins bildeten. Die Vögel hielten den Atem an.
    Anna tauchte aus der Schmutzschleuse auf. Sie trug eine einfache Jeans und darüber einen selbst gehäkelten Hüftschmeichler mit blattförmiger Spange in einem Lilaton, der perfekt zur verhäkelten Wolle passte. Dazu ein einfaches, verwaschen graues Baumwoll-Shirt mit
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