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Jim

Jim

Titel: Jim
Autoren: Thomas Lang
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gegenseitig, und die jungen Männchen neigten dazu, die Weibchen zum Sex zu zwingen. Sie verfügten über die zwei- bis zweieinhalbfache Körperkraft eines erwachsenen Mannes und offensichtlich über das imposantere Gebiss. Deshalb mied Opitz den Garten. Höchstens betrat er dessen vorderen Teil. Von da konnte er mit wenigen Schritten zurück ins Haus laufen.
    Als er rausging, um Jim ein paar Sachen aus der Restekiste des Biomarkts hinzulegen, war er dennoch enttäuscht, den Affen nicht mal von fern zu sehen. Er rief nach ihm, während er die Mahlzeit auf den eigens dafür angeschafften Campingtisch legte. Zwei Ananas, ein halbes Dutzend Kiwis, acht oder neun Äpfel. Auch ein paar grüne Zweige, die Jim jedoch meist liegen ließ. Ein Gutteil des Futters bekamen sie von der befreundeten Marktleiterin geschenkt. Auf diese Artmussten sie Jim ebenso wenig mit Pestiziden vollstopfen wie sich selbst. Er wuchs außerdem noch, da war gesunde Ernährung besonders wichtig. Als Baby war der Ärmste nach Europa verschleppt worden und hatte in einem Käfig in Holland dahinvegetiert, bis Tierschützer, die Anna kannte, ihn vor wenigen Wochen entdeckten und befreien konnten. Anna hatte erreicht, dass Jim bis auf Weiteres in ihrem eigenen, durch eine hohe Mauer geschützten Garten bleiben durfte. Niemand hatte ihm je beigebracht zu klettern, und sein Trainer, der ihn das Bauen von Schlafnestern und die selbstständige Nahrungsbeschaffung lehrte, wollte damit erst beginnen, wenn der Affe in seine Heimat zurückgekehrt war. Opitz ahnte, dass seine Frau die Zeit bis zur Auswilderung nach Möglichkeit verlängern würde.
    Er bewunderte die Ruhe des Tiers. Jim bewegte zwar fortwährend irgendeinen Körperteil, schien dabei aber keine Eile zu kennen. Alles, was er unternahm, drückte eine überlegene Freiwilligkeit aus, ganz als gäbe es auf der Welt keinerlei Notwendigkeiten. Zudem war er ein stiller Affe. Es hieß, dass Orang-Männchen bedingt durch ihren Kehlsack außerordentlich laut schreien konnten. Ihre Stimme trug bis zu einem Kilometer weit, und ein einzelner Ruf konnte zwei Minuten andauern. Jim dagegen ließ nie mehr als ein jämmerliches Fiepen hören, etwa wenn er sich aufregte, weil er nicht kriegte, was er haben wollte. Anna vermutete eine posttraumatische Störung.
    Seine riesigen Hände fand Opitz unangenehm. Auf den Handrücken standen streichholzlange rötliche Haare. Dazwischen schaute die ledrige, von Pigmentflecken übersäte Haut raus. Die Nägel waren ebenfalls dunkel, spitz wie Klauen. Die Proportion wirkte falsch, die Mittelhand war so groß wie eine ausgestreckte Menschenhand im Ganzen, und vorn saßen noch einmal so lange Finger. Der Daumen dagegen war kurz und gerade, der Nagel hockte darauf wie ein Dorn. Diese Hände hatten nichts Menschliches.
    Opitz fühlte sich hungrig. Er nahm einen der Äpfel, die er für Jim auf den Tisch gelegt hatte, wieder an sich und biss hinein. Die Haut war ein bisschen schrumpelig, das Aroma unvergleichlich. Es kam ihm vor, als hätte er seit Ewigkeiten nicht mehr etwas derart Köstliches gegessen. Nicht wahr, du hast nichts dagegen, Jim, du bekommst so viel gutes und gesundes Obst, dass du es bald schon nicht mehr sehen kannst. Wenn Anna zurückkommt, wird sie wie immer ein Leckerli für dich dabeihaben. Jetzt ist sie noch bei Manufactum, jedenfalls glaube ich das, und wahrscheinlich trifft sie dort Tobias. Das verwirrt mich.
    Vor ihm wackelten die Büsche. Opitz schrak aus seinen Gedanken hoch. Er warf den Apfelbutzen weg und verließ schnell den Garten. Die Terrassentür verriegelte er.
    Zurück im Haus konnte er nicht viel mit sich anfangen. Die Schmerzen blieben weg, die Inspiration leiderauch. Eine Glosse über den bärtigen Fernseh-Clown? Die würde niemand abdrucken. Auf seinen Essay musste er sich erst wieder einstimmen. Er schaltete das Radio ein und setzte sich an den Schreibtisch. Der Sender brachte ein Kalenderblatt über den selbst Opitz unbekannten Barockdichter Steinhardt Fall. Ein Zeitgenosse von Andreas Gryphius und Schlesier wie dieser, hatte er offenbar wunderbare Gedichte geschrieben, aber nie aus dem Schatten des berühmten Kollegen treten können. Dabei war Fall, soweit sich das nach den Kostproben in dem Mini-Feature beurteilen ließ, bei Weitem nicht so larmoyant. Im Internet ließ sich genauso wenig über ihn finden wie über Andrucki.
    Opitz schaltete das Radio ab und bootete den Rechner. Er gab im Browser die Adresse einer Website ein, deren Betreiber
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