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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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alles Bekannte umstritten ist. Da es um Jerusalem geht, verlaufen die akademischen und archäologischen Debatten immer gehässig, manchmal führen sie gar zur Gewalt. Die Ereignisse des letzten halben Jahrhunderts sind so umstritten, dass es viele Versionen von ihnen gibt.
    Die wenigen verfügbaren Quellen zur Frühzeit haben sowohl Historiker und Archäologen als auch einige Spinner so lange ausgequetscht, umgemodelt und manipuliert, bis sie in alle erdenklichen Theorien passten, die sie dann mit dem Selbstvertrauen absoluter Gewissheit vertraten. In allen Fällen habe ich die Originalquellen und die zahlreichen Theorien geprüft und meine Schlüsse gezogen. Wenn ich mich in jedem Einzelfall umfassend absichern wollte, wären die häufigsten Worte in diesem Buch »vielleicht«, »vermutlich«, »möglicherweise« und »es könnte sein«. Daher wiederhole ich diese Einschränkung nicht überall, wo sie angebracht wäre, sondern mache an dieser Stelle darauf aufmerksam, dass hinter jedem Satz eine umfangreiche, ständig sich ändernde Literatur steht. Jeder Teil dieses Buches wurde von einem akademischen Fachmann geprüft. Dabei halfen mir zu meinem Glück einige der renommiertesten Professoren der heutigen Zeit.
    Die am stärksten belastete Kontroverse betrifft König David, weil sie solch befrachtete und aktuelle politische Auswirkungen hat. Selbst in ihrer wissenschaftlichsten Form wurde diese Debatte dramatischer und schärfer geführt als jede andere zu irgendeinem Thema, außer vielleicht der zum Wesen Christi und Mohammeds. Die Quelle für die Geschichte Davids ist die Bibel. Lange ging man selbstverständlich davon aus, dass er eine historische Gestalt war. Im 19. Jahrhundert sorgten imperialistisch-christliche Interessen für die archäologische Suche nach Davids Jerusalem. Die christliche Ausrichtung dieser Suche änderte sich, als 1948 der Staat Israel gegründet wurde. Nun erhielt sie aufgrund des Stellenwerts, den David als Gründer des jüdischen Jerusalem hatte, eine leidenschaftlich religiös-politische Bedeutung. Da es kaum Zeugnisse aus dem 10. Jahrhundert vor Christus gab, nahmen revisionistische israelische Historiker an, dass Davids Stadt kleiner war als bis dahin vermutet. Manche bezweifelten sogar, ob er überhaupt eine historische Gestalt war, was jüdische Traditionalisten empörte und palästinensische Politiker freute, weil es den jüdischen Anspruch untergrub. Die Entdeckung der Tel-Dan-Stele 1993 bewies jedoch, dass König David tatsächlich existiert hatte. Die Bibel wurde zwar nicht primär als Geschichtswerk verfasst, ist aber dennoch eine historische Quelle, die ich bei meiner Darstellung benutze. Die Ausmaße der Davidsstadt und die Zuverlässigkeit der Bibel sind im Text behandelt, mit dem aktuellen Konflikt über die Davidsstadt befasst sich der Epilog.
    Über eine wesentlich spätere Epoche, das 19. Jahrhundert, kann man unmöglich schreiben, ohne den Schatten Edward Saids und seines Werkes Orientalismus zu spüren. Said, ein palästinensischer Christ, kam in Jerusalem zur Welt, war Literaturprofessor an der Columbia University in New York und eine originelle Stimme in der Welt des palästinensischen Nationalismus. Nach seiner Ansicht setzten die subtilen und hartnäckigen eurozentristischen Vorurteile gegen arabisch-islamische Völker und ihre Kultur, die vor allem bei Reisenden im 19. Jahrhundert wie Chateaubriand, Melville und Twain festzustellen seien, die arabische Kultur herab und rechtfertigten den Imperialismus. Saids eigene Arbeit veranlasste allerdings manche seiner Jünger zu dem Versuch, diese westlichen Eindringlinge aus der Geschichte zu tilgen: Das ist absurd. Es ist indes eine Tatsache, dass diese Besucher wenig vom wirklichen Leben der Araber und Juden in Jerusalem sahen und verstanden, daher habe ich mich sehr bemüht, das tatsächliche Leben der einheimischen Bevölkerung zu zeigen. Aber da das vorliegende Buch keine Polemik ist, muss der Historiker Jerusalems den dominanten Einfluss romantisch-imperialer Kultur des Westens auf die Stadt aufzeigen, weil er erklärt, warum der Nahe Osten den Großmächten so wichtig war.
    Ebenso habe ich die fortschreitende Entwicklung des säkularen wie evangelikalen Pro-Zionismus in Großbritannien von Palmerston und Shaftesbury bis hin zu Lloyd George, Balfour, Churchill und ihrem Freund Weizmann aus dem einfachen Grund nachgezeichnet, weil er im 19. und 20. Jahrhundert der wichtigste Einzelfaktor war, der das Schicksal
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