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Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Autoren: Ju Honisch
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erschien ihr zunehmend als möglicher Fluchtweg. Wenn sie nur mit ihrem Vater über alles reden könnte. Doch der ging in einem neuen Forschungsprojekt auf, traf sich mit wichtigen und langweiligen Leuten, lud zu Soireen und Jours fixes ein und überließ alles, was nicht direkt mit diesen Projekten zu tun hatte, ihrer widerlich effizienten Stiefmutter. Lucilla wusste alles gewiss am besten.
    Catrin begriff, dass sie ein wenig verwöhnt gewesen war und hätte wohl auch eine strengere Gangart akzeptiert, wenn sie nur hätte fühlen können, dass die neue Strenge wirklich zu ihrem Besten gedacht war und nicht nur einfach dazu diente, sie aus dem Weg zu haben, als sei sie ein peinliches Geheimnis.
    Der Haushalt hatte sich verändert, und sie sich mit ihm. Sie gab acht, wo sie sich aufhielt. Gab acht, mit wem sie sprach und über was. Sie lernte, zwischen den Zeilen zu lesen. Ein neues Universum entstand zwischen dem, was gesagt wurde, und dem, was gemeint war. Manchmal fühlte sie sich verloren und dumm in den plötzlichen trügerischen Zwischentönen, manchmal alt und ausgelaugt und unendlich müde. Sie wurde nicht nur erwachsen, man zwängte und schnitt sie in Form wie einen französischen Zierstrauch. Es war eine schmerzvolle Erfahrung.
    Sie hatte dem Erwachsenwerden nie viel Aufmerksamkeit geschenkt. Jetzt jedoch war es dauernd in ihren Gedanken, zumal man sie konstant daran erinnerte, dass sie den Ansprüchen nicht genügte. Sie konnte die Aufgaben, die man ihr stellte, nicht zur Zufriedenheit bewältigen, und diese Aufgaben waren nichts Besonderes, nur das was von jedem anderen heranwachsenden Mädchen an Benehmen, an Wesensart, an nützlichem Wissen auch erwartet wurde. Selbst ihr Aussehen stand unter ständiger Kritik.
    Im Augenblick saß sie denn auch vor ihrer Frisierkommode und betrachtete ihr eigenes Spiegelbild. Was Lucilla wirklich am besten wusste, war, wie sie ihr das Leben zur Hölle machen konnte. An diesem Tag hatte sie aus heiterem Himmel entschieden, Catrins Einführung in die Gesellschaft um mindestens ein Jahr zu verschieben, vielleicht sogar zwei. Das Kind war schlichtweg nicht reif genug, um auf den „Eheanbahnungsmarkt“ losgelassen zu werden, hatte sie gesagt, und Catrins Vater hatte zustimmend genickt, ohne auch nur von dem Brief, den er gerade las, hochzusehen.
    „Natürlich, Liebste“, hatte er gesagt. Das war die andere Floskel, die er andauernd wiederholte. Er hatte seine Tochter nicht einmal angesehen. Es schien fast so, als nähme er sie kaum noch wahr, als hätte Catrin irgendwie aufgehört zu existieren. „Catty“ gab es nicht mehr, nur noch „das Kind“. Sie war zur Fremden geworden.
    Lucilla wusste es am besten, und Lucilla hatte ihr den Einstieg in die Gesellschaft der Erwachsenen verwehrt. Damit war Catty ihre Fluchtmöglichkeit genommen.
    Mit voller Absicht hatte Catrin sofort lautes, weinerliches Protestgeschrei erhoben, und flugs war sie aus dem Frühstücksraum bugsiert worden, so schnell, dass sie gar nicht wusste, wie ihr geschah. Miss Colpin hatte eine Art sie zu behandeln, die sie in null Komma nichts zu einer hilflosen Vierjährigen reduzierte. Catty kam weder gegen die Willensstärke, noch gegen die bissig schneidenden Kommentare ihrer Gouvernante an. Klein kam sie sich dann vor und fühlte sich, als ob man Teile von ihr abbiss. All die guten Antworten fielen Catty immer erst hinterher ein, wenn keiner mehr da war, sie zu hören. Doch während sie sich noch unter dem allzu scharfen Blick ihrer pflichtbesessenen Erzieherin wand, schien auf einmal nichts mehr übrig zu sein von Catty, der Erwachsenen. Oder immerhin fast schon Erwachsenen.
    Dem Mittagessen war sie ferngeblieben, und niemand hatte ihr Fehlen kommentiert. Zum Abendessen würde sie auch nicht hinunterkommen, und sie war dankbar, dass sie noch eine Schachtel Pralinen hatte, die die selbstauferlegte Diät etwas leichter machte. Hungern sollte sie wahrlich nicht, denn sie war ohnedies eher zu dünn. Junge Frauen sollten etwas rundlicher sein. Die Köchin hatte gemeint, dass das schon noch geschehen würde. Doch Catrin hegte den schrecklichen Verdacht, dass sie ihr ganzes Leben lang klein und dürr bleiben würde. Groß und schlank – das war erstrebenswert, aber klein und dürr ließ einen nur noch jünger und kindlicher aussehen. Unter den gegebenen Umständen war es ein zusätzliches Ärgernis.
    Sie war jedoch keinesfalls zu unreif für eine Ballsaison. Die meisten Mädchen wurden mit siebzehn in die
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