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Jenseits der Finsternis

Jenseits der Finsternis

Titel: Jenseits der Finsternis
Autoren: Michael Nagula
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Menschen starben; die Maschine meint, nur ein Mensch könne daran schuld sein – du lebst noch und hattest die Möglichkeit, es zu tun.«
    »Töten«, sagte Jana. »Warum, welcher Grund …«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte Schomon, »und es ist auch gleichgültig – das Schiff stürzt bald in eine Sonne.«
    Jana ließ Schomons Hand los.
    »Ich nicht!« stieß sie gepreßt hervor. »Ich könnte niemals – all die Menschen …«
    »Sie«, klagte die Maschine an, »haben es getan!«
    »Nein! Nicht ich! Vielleicht du – Automaten versagen! Warum nicht auch bei der Nahrungsmittelproduktion?«
    »Das ist unmöglich«, sagte die Maschine.
    »Schau mich an!« warf Schomon ein.
    Wieder wurde es still.
    »Es schweigt«, meinte Jana.
    »Es denkt nach«, meinte Schomon, »und versucht zu begreifen, was es niemals begreifen kann.«
    Jana hob die Hand und betastete Schomons Gesicht.
    »Wie kam das?«
    »Es ist nicht wichtig«, antwortete er, »jetzt nicht mehr.« Er ergriff ihre Hand.
    »Gut, daß es so ist«, fügte er hinzu, »ich könnte dies sonst nicht ertragen – aber so ist die Welt der Dinge um mich herum fern, die alten Abhängigkeiten fort, bedeutungslos …«
    »Ich bin froh«, erklärte Jana, »daß du da bist. Als ich hierher kam, hoffte ich verzweifelt, einen Menschen zu finden, obwohl ich nicht daran glaubte – in den Kabinen nur Tote …«
    »Warum hast du nicht gegessen?«
    Jana entzog ihm ihre Hand.
    »Ich hatte eine – Magenverstimmung«, sagte sie stockend, »darum habe ich – ich meine, ich habe nicht …«
    »Schon gut«, beruhigte Schomon sie, »es ist nicht wichtig.« Er hörte, wie sie umherging.
    »Die Aufnahmegeräte laufen«, sagte sie endlich. »Es ist ein furchtbarer Anblick – ein Meer von Feuer …«
    »Ich kann es nicht sehen«, stellte Schomon fest.
    Sie schwiegen einen Augenblick lang.
    »Woran denkst du?« erkundigte sich Jana schließlich.
    »Es sind Erinnerungen«, sagte Schomon langsam. »Unbedeutend.«
    »Unbedeutend?«
    »Es ist lange her«, erinnerte sich Schomon. »Ich war – Techniker in einem Kraftwerk, glaube ich, ich weiß es nicht mehr genau; aber dort lernte ich ihn kennen – nicht einmal seinen Namen weiß ich mehr …«
    »Was war mit ihm?« unterbrach Jana.
    Schomon schwieg für einen Moment.
    »Ich denke, daß er glücklich war«, sagte er schleppend, »der einzige glückliche Mensch, den ich bisher gekannt habe. Versteh mich richtig, wir waren junge Frauen und Männer, hatten jedes nur denkbare Vergnügen, haben alle miteinander geschlafen – aber nicht ichbezogenes Glück, meine ich; er war – anders; zufrieden aus dem tiefsten Grund seines Selbst heraus, frei von allem Macht- und Geltungsstreben, von jeglicher Identifizierung mit der Umwelt. Ich ging zu ihm, wollte wissen, was er war, was er tat – ich ging in seine Wohnung; ich fand ihn in einem Raum, der rundum gefüllt war mit Aktenordnern; er saß an einem Tisch und schrieb; ich fragte ihn, was.
    Gedanken seien es, sagte er, die aus irgendeiner Quelle tief in ihm hervorkamen, ohne Unterlaß – und er könne nichts tun, als sie festhalten und zu begreifen versuchen. Ich riet ihm, einen Arzt aufzusuchen, doch er meinte nur: Warum? Ich schämte mich und ging. Bald darauf wechselte ich die Stellung und habe ihn nie wiedergesehen. Aber ich wüßte gern, was aus ihm geworden ist …«
    »Wieso mußtest du gerade an ihn denken?« wollte Jana wissen.
    »Nicht an ihn«, berichtigte Schomon, »was er schrieb, kam mir in den Sinn; ich las es nur flüchtig, doch als du mich fragtest, konnte ich mich deutlich entsinnen, so genau, als läge es vor mir – einige Zeilen nur, die mir damals unsinnig erschienen:
     
    Am Rand des anderen Lebens
    Stehen wir, ein jeder allein,
    Und wissen es nicht.«
     
    Schomon schwieg wieder.
    »Ich verstehe nun«, murmelte er dann leise, »ein wenig nur, vielleicht, aber doch …«
    Er machte ein paar schwerfällige Schritte, bis er die elastische Oberfläche der Wand ertastet hatte, und setzte sich nieder. Der Schaumstoff des Bodenbelags war kühl.
    »Mir ist kalt«, sagte Schomon, »und ich bin müde.«
    Jana kam und lehnte sich neben ihn an die Wand. Sie strich ihm übers Haar und legte die Hände auf seine Schultern.
    »Du frierst«, stellte sie fest.
    Schomon lächelte traurig.
    »Es wird bald wärmer werden«, meinte er ohne Ironie.
    »Bis dahin will ich dich wärmen«, versprach Jana und umarmte ihn.
    Während sie sich liebten und Trost in der Gemeinsamkeit ihrer Furcht fanden,
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