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Jenseits der Finsternis

Jenseits der Finsternis

Titel: Jenseits der Finsternis
Autoren: Michael Nagula
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gegenüberstehe?«
    »Sie müssen ihn töten«, verlangte das Steuergehirn.
    »Töten?« wiederholte Schomon, reglos in der Mitte des Raumes stehend, und schwieg dann minutenlang, während er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.
    Schließlich begann er laut zu lachen.
    »Ich verstehe nicht«, sagte die Maschine.
    »Nein«, entgegnete Schomon erschöpft, »sicher nicht.«
    »Sie müssen den Schuldigen töten«, beharrte der Computer.
    »Warum? Das Schiff stürzt in eine Sonne, und wir sterben ohnehin – warum also?«
    »Gerechtigkeit«, erklärte die Maschine. »Das Schiff stirbt, ich sterbe, Sie sterben – und wir sind nicht schuldig. Das wäre keine Strafe für den Schuldigen, stürbe er genau wie wir, zugleich mit uns.«
    »Ich verstehe«, sagte Schomon langsam. »Nicht um der Menschen willen, die den Tod fanden, verlangst du Strafe – es ist des Schiffes wegen.«
    »Ja«, gestand der Computer. »Es ist mein Körper, ich bin sein Hirn; Menschen sind mir fremd. Maschinen sind ein Teil meiner selbst, von meiner Art, Augen und Ohren, Vermittler zur Welt rings um mich.«
    »Aber es ist doch gewiß möglich, Maschinen und Menschen gleichermaßen loyal gegenüberzustehen«, meinte Schomon. »Sieh mich an – meine Augen sind zerstört, durch das Versagen eines Mechanismus; aber ich verlange deshalb nicht seine Vernichtung. Denn ein Absolutum wie Schuld oder Unschuld existiert nicht, aus dem ich sagen könnte: Ich bin gut, jener ist böse, daher darf ich ihn richten. Vielmehr muß ich fragen: Warum hat er das getan, was trieb ihn? Und muß versuchen zu verstehen: Bosheit ist Krankheit, nicht Schuld; nicht Strafe, sondern Heilung ist notwendig.«
    »Ihre vielwertige Ethik ist nicht die meine«, widerstand die Maschine. »Ich bin grundsätzlich so konstruiert, daß für mich nur Ja oder Nein existieren, Gut oder Böse. Das Vorhandensein gewisser Schattierungen anerkenne ich als Möglichkeit, ohne dadurch jedoch meine Grundprinzipien tangieren zu können.«
    »Verlangt deine Basisprogrammierung nicht Achtung des menschlichen Lebens? Wie kannst du den Tod eines Menschen fordern?« fragte Schomon.
    »Gewiß«, antwortete sein Gegenüber, »solange das System reibungslos funktioniert, ist Loyalität beiden Parteien gegenüber möglich; aber nun, da dies geschehen ist, habe ich meine Wertbegriffe überprüft und muß für die Ausrichtung meiner Position zum Schuldigen andere Kriterien finden. So scheint es mir gerecht zu sein, daß bestraft wird, wer tötet; auch Sie müssen doch Strafe für den Täter verlangen, denn Sie sterben mit diesem Schiff und mir.«
    »Du hast nicht verstanden«, wehrte Schomon ab. »Menschen töten nicht. Wie kannst du verlangen, daß ich, um deiner starren Auffassung von Gerechtigkeit Genüge zu tun, des gleichen Verbrechens schuldig werde wie der, den ich strafen soll?«
    »Ich habe Informationen darüber, daß Menschen einander töten«, sagte die Maschine.
    »Nicht mehr«, verneinte Schomon, »das ist Vergangenheit. Nur Kranke könnten heute dazu fähig sein. Doch wenn dir so am Tod des Schuldigen gelegen ist, warum bestraft du ihn nicht selber? Deine Automaten sind stark und durchaus dazu in der Lage.«
    »Es ist mir unmöglich, solche Befehle zu geben«, gab der Computer zu. »Sperrschaltungen hindern mich.«
    »Aber du kannst Gedanken formulieren, die den Tod eines Menschen fordern«, stellte Schomon fest.
    »Selbstverständlich. Alle Blockierungen betreffen nur die Exekutive, nicht aber den freien Fluß von Information und Kombination.«
    Kurze Stille trat ein. Dann ertönte das Öffnungsgeräusch des Schottes.
    »Sie kommt«, sagte der Computer. »Töte sie.«
    Schomon hörte jemand nähertreten; die Schritte waren leicht und kurz: eine Frau. Die Schritte verstummten.
    »Wer bist du?« fragte Schomon. Sein Gegenüber schwieg einen Augenblick lang und stammelte dann: »Ich hatte nicht geglaubt, daß noch jemand überlebt hat. Ich bin Jana – was ist mit dir? – Du bist nackt, blind, was machst du hier – ich bin froh, daß du da bist …«
    Schomon lächelte und streckte die Hand aus; Jana ergriff sie und preßte sie gegen ihre Wange.
    »Ich heiße Schomon«, stellte er sich vor. »Ich war im Bett, als das Schiff zu sterben begann.«
    »Zu sterben begann?« fragte Jana. »Das Schiff?«
    »Das Steuergehirn formulierte es so. Es verlangt, daß ich dich töte.«
    Jana schwieg lange.
    »Wieso?« brachte sie schließlich hervor.
    »Das Essen war vergiftet. Das Schiff stirbt, weil die
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