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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke
Autoren: Antonia Michaelis
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sein, irgendwen!
    Er ballte die Fäuste unter der Bettdecke, so fest er konnte. Wenn ich meine Fäuste nur fest genug zusammendrücke, dachte er, ist ihnen nichts passiert.
    Dann hörte er die Haustür aufgehen und kurz darauf Onnars Stimme in der Küche. Mama antwortete und Joern öffnete seine schmerzenden Finger. Geschirr klapperte.
    »Ein Glück, dass du da bist«, sagte Mama und Joern erinnerte sich, dass sie in dieser Nacht gar nicht gearbeitet hatte.
    »Ja, ein Glück, dass ich da bin«, antwortete Onnar. »Aber irgendwo anders ist jemand nicht nach Hause gekommen und das ist kein Glück. Diesmal war es nicht das Bergwerk. Es hat eine der Frauen in der Fabrik erwischt, an den Schleifmaschinen.« Joern konnte Onnars Wut hören. »Siehaben gesagt, sie hätte besser aufpassen sollen. Unsinn! Die Maschinen sind zu alt. Sie sind unberechenbar wie Raubtiere.«
    »Und dennoch werde ich nach dem Frühstück wieder dorthin gehen«, erwiderte Mama.
    »Warte nur«, sagte Onnar. »Bald … bald werden die Maschinen stillstehen. Bald werden die Raubtiere schweigen.«
    Die Tür zu Joerns winzigem Zimmer quietschte und Schritte traten neben Joerns Bett.
    »Komm!«, sagte Onnar leise. »Es ist Zeit, aufzustehen. Die Schule! Wenn du vorher noch mit dem Hund gehen willst, musst du dich beeilen.«
    Joern zog die Decken noch ein wenig enger um sich und sah seinen Bruder an. Onnars Gesicht war schwarz vom Ruß, doch die Augen darin glänzten hell und klar wie das Wasser eines Sommerbaches. Onnar war schon fünfundzwanzig. Seit Langem erwachsen genug, um in die ewige Dunkelheit des Bergwerks hinunterzusteigen. Jetzt kam er von dort unten, kam von der Nachtschicht. Für ihn war es Zeit, schlafen zu gehen.
    »Die Schule ist wichtig«, sagte er. »Du bist schlau. Du wirst mal was Besseres.«
    »Es ist so kalt«, sagte Joern.
    Onnar lachte. »Unsinn! Es ist Sommer.«
    »Hier, in der Schwarzen Stadt«, flüsterte Joern, »wird es nie Sommer.«
    Er stieg zitternd in seine Kleider. Draußen, irgendwo vor der Stadt, schien die Sonne, doch bis hierher drangenihre Strahlen nicht. In den schmalen Straßen verzogen sich die Schatten nie. Das kam vom Kohlenstaub, der über den Häusern lag wie eine Glocke. Er machte die Luft grau und die Herzen rußig. »Aber der Kohlenstaub«, sagte Onnar immer, »macht auch das Geld. Was täten wir ohne die Kohle?«
    Joern hasste die Kohle.
    In der Küche saßen die vier D um den Tisch versammelt. Unter dem Tisch lag Flop, Joerns Hund. Auch er war schwarz. Doch in seinem Hundeherzen gab es keinen Ruß.
    »Guten Morgen, Joern«, sagte Mama. Sie stand am Herd und kämpfte mit der Gasflamme, die sich nicht entzünden lassen wollte. Der Herd war alt, alt wie die winzige Wohnung, alt wie die Schatten in der Schwarzen Stadt.
    »Na, Kleiner«, sagte Dennis und rückte ein Stück zur Seite, damit Joern Platz am Tisch hatte. »Fast verschlafen, wie?«
    »In der Schule kann er weiterschlafen«, sagte Dirk. »Tust du auch, Dennis, was? Na, musst ja nicht mehr lange dahin.«
    »Wünschte, ich könnte ’ne Runde weiterschlafen«, sagte Dario.
    »Vergiss es, Brüderchen«, sagte Damian.
    Joern kraulte Flops Schlappohren und schwieg. Obwohl die vier D alle seine Brüder waren, hatte er nie mit ihnen reden können. Nicht so wie mit Onnar. Dennis war fünfzehn, Damian war zwanzig und Dirk und Dario waren etwas dazwischen. Die älteren drei arbeiteten mal hier und mal da,aber man wusste nie genau, was sie eigentlich taten. Onnar sagte oft, sie wären wie ihr Vater, ihr aller Vater, und dann wurden sie böse, denn diesen Vater konnte niemand leiden. Er war stets gekommen und gegangen, wie es ihm gepasst hatte, und irgendwann, kurz vor Joerns Geburt, war er gar nicht mehr zurückgekehrt.
    »Ein Glück!«, sagte Onnar immer. »Nun stell dir vor, wir hätten noch einen Esser am Tisch, noch einen, der kein Geld heimbringt und noch einen mehr in dieser Wohnung!«
    Schon sechs Brüder waren zu viel für eine so winzige Wohnung. Joern besaß als Einziger ein eigenes Schlafzimmer und das war eigentlich die Besenkammer. Der Platz reichte gerade für ein Bett und einen Bettvorleger. Es gab einen ständigen Kampf um das Bad, und wenn sie alle um den Küchentisch saßen, stießen ihre Ellenbogen gegeneinander. Das Wohnzimmer stand stets voller Wäscheständer und der Dunst der trocknenden Unterwäsche mischte sich mit dem Eintopfgeruch aus der Küche. Die Luft reichte nicht zum Denken. Man konnte wahnsinnig werden in dieser Wohnung.
    Der
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