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Jenseits aller Vernunft

Jenseits aller Vernunft

Titel: Jenseits aller Vernunft
Autoren: Sandra Brown
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Ende des Wagens gekrochen und hatte die Plane beiseitegeschoben. »Mr. Coleman? Seid Ihr das? Eure Frau hat Wehen, sagt Ihr? Ich dachte, sie wäre noch gar nicht so weit...«
    »Ich auch. Sie ...« Lydia hörte die Erschütterung in der Stimme des Mannes. »Sie leidet Qualen. Werdet Ihr kommen?«
    »Bin schon unterwegs.« Ma drehte sich um und fuhr hastig in ihre Stiefel. »Schlaft Ihr ruhig weiter«, beschwichtigte sie Lydia trotz ihrer Eile. »Anabeth bleibt hier und kommt mich schnell holen, wenn Ihr mich braucht.« Sie legte sich ein gehäkeltes Umschlagtuch um die Schultern. »Sieht ganz so aus, als wenn das nächste Baby auf dem Weg in die Welt wäre.«

2
     
    Als die Wagen am nächsten Morgen losfuhren, war Ma noch nicht zurück. Im Lager sprach sich herum, dass Mrs. Coleman immer noch in den Wehen lag und dass sie darauf bestanden hatte, dass der Treck nicht ihretwegen einen Reisetag verlieren durfte. Bubba bot an, für Mr. Coleman zu fahren, und Zeke kutschierte den Wagen der Langstons.
    In Mas Abwesenheit übernahm Anabeth als älteste Tochter das Kochen und die Betreuung der kleineren Geschwister. Sie versorgte Lydia mit derselben ruhigen Sachkenntnis, die auch ihre Mutter besaß. Lydia war erstaunt, dass das Mädchen wusste , wie eine Geburt vor sich ging.
    »Es tut mir leid, dass du das für mich tun muss t«, entschuldigte sie sich, als Anabeth eine durchweichte Vorlage wegräumte.
    »Psst, ich hab’s schon für Ma gemacht, als sie die letzten beiden Babys bekommen hat, und hab’ selber schon die Periode, seit ich zehn war. Das macht mir nix aus.«
    Als der Wagenzug mittags anhielt, kam Ma zurück und erklärte ihnen tief bekümmert, dass Mrs. Coleman gerade vor einer halben Stunde gestorben war, nachdem sie einen Sohn geboren hatte.
    »Sie war so ’ne zarte kleine Frau. Natürlich tobt Mr. Coleman wie ein Wilder, gibt sich selbst die Schuld und sagt, er hätt’ sie nicht mit auf diese Fahrt nehmen dürfen. Sie hatte ihm gesagt, dass sie das Kind erst im September kriegen würde, das hieß, wenn wir schon längst in Jefferson wären. Er kann nichts dafür, trotzdem macht ihm die Sache ganz schön zu schaffen.«
    »Und das Baby?« fragte Zeke mit einem trockenen, harten Brötchen zwischen den Zähnen, das vom Frühstück übriggeblieben war.
    »Das winzigste Kind, das ich je gesehen hab’. Es hat kaum genug Kraft zum Schreien. Würde mich nicht überraschen, wenn seine kleine Seele die Erde auch noch verließe.« Sie zog sich in den Wagen hinauf, um mit Lydia zu reden, die das Gespräch der Familie mitgehört hatte. »Wie geht’s, Lydia?«
    »Gut, Mrs. Langston.«
    »Bitte, sagt doch einfach Ma zu mir. Kümmert sich Anabeth richtig um Euch? Tut mir leid, dass ich nicht hier sein kann, aber dem kleinen Jungen geht’s nicht besonders gut.«
    »Natürlich«, murmelte Lydia. »Bei mir ist alles in Ordnung. Sobald ich aufstehen kann, werde ich Euch nicht weiter belästigen.«
    »Nicht, solange ich dabei noch ein Wörtchen mitzureden habe. Seid Ihr sicher, dass es Euch gutgeht? Ihr seht ’n bisschen gerötet aus.« Sie legte eine schwielige Hand auf Lydias Stirn. »Immer noch Fieber. Ich werd’ Anabeth sagen, sie soll Euch heute nachmittag möglichst oft ein kaltes Tuch auf die Stirn legen.«
    Lydia hatte ein neues Problem, wollte aber Ma nicht damit auch noch belasten; also erwähnte sie ihre geschwollenen Brüste nicht. Sie nickte den Tag über häufig ein, denn es war ruhig im Wagenzug, der aus Respekt für Mr. Coleman angehalten hatte. Anabeth versorgte sie, wenn auch etwas unter Druck, mit einem herzhaften Abendessen. Nach der Mahlzeit sollten sich alle versammeln, um Mrs. Coleman zu beerdigen.
    Es wurde ruhig im Lager. Lydia lag in ihrem Bett und starrte hinauf an die Decke aus Segeltuch. Außer dem fernen Klang eines Begräbnisliedes hörte Lydia nichts von der Trauerfeier. Sie staunte über sich selbst, dass sie das Lied mitsingen konnte. Wie lange war sie wohl nicht mehr in einer Kirche gewesen? Zehn, zwölf Jahre? Und doch erinnerte sie sich genau an den Text und war richtig glücklich darüber. Mit einem Lächeln schlief sie ein und wachte nicht auf, als die Langstons bedrückt wieder zu ihrem Wagen zurückkehrten.
    Der nächste Tag verging ähnlich wie der vorige, nur stand es um Lydia nicht so besonders. Ihre Brüste waren unter dem Nachthemd stark angeschwollen, und sie versuchte, das zu verstecken, wenn Anabeth sie versorgte oder ihr zu essen brachte. Sie fühlten sich an, als wollten
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