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Jeden Tag ein Happy End

Jeden Tag ein Happy End

Titel: Jeden Tag ein Happy End
Autoren: Devan Sipher
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»Frohes neues Jahr.« Diese kleine Floskel brachte meine Mutter aus dem Konzept. Sie verstummte. Wahrscheinlich überlegte sie, wie man in anderen Familien an Feiertagen miteinander umging.
    »Warst du gestern Abend bei Janice?«, fragte sie.
    »Wer ist Janice?«, fragte ich zurück, bevor mir klar wurde, dass ich das bestimmt gar nicht wissen wollte.
    »Das Mädchen, mit dem du ausgehst«, sagte mein Vater. Laut seiner Definition war jede alleinstehende Frau unter achtzig ein Mädchen.
    »Sie heißt Jill«, antwortete ich und verschluckte mich an einem Löffel Cornflakes. Ich hatte vergessen, dass meine Eltern sie einmal kurz getroffen hatten, als sie im Dezember für ein Wochenende in der Stadt waren. Es war ein Kennenlernen im Vorbeifahren. Wortwörtlich. Ich war gerade dabei, meine Eltern ins Taxi zu setzen, weil sie sich ›Mamma Mia‹ ansehen wollten, da tauchte Jill etwas früher als geplant zu unserer Joggingverabredung auf.
    »Sie hat gesagt, sie heißt Janice«, behauptete mein Vater.
    »Wieso sollte sie Janice sagen, wenn sie Jill heißt?«, zischte ich.
    »Vielleicht heißt ihre Schwester ja Janice?«, schlug meine Mutter vor.
    »Sie heißt Jill!«
    »Nennt ihre Familie sie Janice?«, hakte mein Vater nach.
    »SIE HEISST JILL! EINFACH NUR JILL!«
    Ich darf meine Eltern nicht anschreien. Ich darf meine Eltern nicht anschreien . Ich sagte diesen Satz in Gedanken vor mich hin wie Bart Simpson, der einen Satz hundert Mal an die Tafel schreiben muss.
    »Bernie liegt im Krankenhaus«, verkündete da meine Mutter, während ich noch damit beschäftigt war, meinen Puls zu senken. Bernie Perlstein war der Mann meiner Großmutter. Der vierte, aber wer zählte da noch so genau mit. Von dem plötzlichen Themenwechsel wurde mir ganz schwindlig. Bei Gesprächen mit meinen Eltern fühlte ich mich manchmal, als würden sie gemeinsam ein Dada-Manifest verlesen.
    Ich konnte mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal mit Bernie geredet hatte. Er war Veteran des Zweiten Weltkriegs und hatte früher als Pilot gearbeitet. Er war stolz, großzügig und liebte meine Großmutter sehr. Zu Thanksgiving war es ihm noch gut gegangen, er war lediglich wegen seiner Blutfettwerte in Behandlung gewesen.
    »Er hatte einen Unfall«, sagte mein Vater wie nebenbei. Mein Vater sagte nie etwas nur so nebenbei. Meine Eltern untertrieben nie. Hier ging es nicht um irgendwelche Blutfettwerte. Es musste etwas Schlimmes passiert sein.
    »Ich habe Grandma ja gesagt, sie soll ihn nicht ans Steuer lassen«, wies meine Mutter dezent darauf hin, welche Gefahren es mit sich brachte, ihren Ratschlägen nicht zu folgen.
    »Saß Grandma mit im Auto?«, fragte ich. Hundert Fragen schwirrten mir durch den Kopf. Ich stellte mir vor, wie meine Großmutter zwischen Scherben und verbogenem Metall lag. In mir zog sich alles zusammen. Sie war zweiundachtzig Jahre alt, joggte jeden Morgen ihre fünf Kilometer und hatte bis zu ihrem achtzigsten Geburtstag Bikinis getragen. Sie wusste genau, was sie wollte, und ließsich nie unterkriegen. Und sie war der einzige Mensch, der mich von ganzem Herzen liebte.
    »Sie kann bestimmt bald wieder nach Hause«, sagte mein Vater.
    »Und mach dir keine Sorgen«, lenkte meine Mutter ab, »dem Auto ist nichts passiert.«

Schlafende Fische soll man nicht wecken
    G eplatzte Luftballons sind nicht der Grund für Mimi Martins Tränen.
    Verdammt. Ich löschte den Satz und fing noch einmal von vorne an. Ich war immer noch beim ersten Satz meiner Kolumne, obwohl ich schon Stunden mit Tippen und Löschen zugebracht hatte, und vor allem damit, mir um meine Großmutter Sorgen zu machen, die ich trotz mehrfacher Versuche nicht erreicht hatte. Ich saß über meinen Laptop gebeugt, was meinem Rücken sicher nicht gerade guttat, falls ich vorhatte, ebenfalls zweiundachtzig zu werden.
    Auf Mimi Martins Hochzeitsfeier am Silvestertag flossen nicht nur Tränen.
    Noch schlimmer.
    Mit Mylo Nikolaidis hat Mimi Martin einen guten Fang gemacht, und nach ihrer Hochzeit letzte Woche wird sie ihn wohl auch nicht wieder hergeben.
    Barbaras fassungsloses Gesicht tauchte vor mir auf.
    Mein Gehirn weigerte sich mitzuarbeiten. Selbst an guten Tagen war das Schreiben für mich mehr Fluch als Segen. Und heute war kein guter Tag.
    Thomas Mann hat einmal gesagt: »Ein Schriftsteller ist ein Mann, dem das Schreiben schwerer fällt als anderen Leuten.« Ich versuchte, nicht an Thomas Mann zu denken. Ich versuchte, nicht an Jill zu denken. Ich hätte sie so
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