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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman
Autoren: C. Bertelsmann
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In unserem ersten Winter hatte sie mir einen modischen Pullover mit Reißverschluss gestrickt, und ich ging durch die Straßen von Jerusalem wie ein alter Pionier aus dem Märchenland. Sie lehrte mich, Gulasch mit Kartoffeln und scharfem Paprika gewürzt zu essen, und für jemanden, der mit Reis aufgewachsen war so wie ich, war das eine große Leistung. Vor zwei Wochen jedoch gab sie mir den Laufpass. »Seit drei Jahren hältst du mich hin. Irgendwas ist bei dir gestört«, warf sie mir auf der Emek-Refaim-Straße neben ihrer Dachwohnung hin, und fort war sie, und ich blieb allein auf dem Bürgersteig zurück, mit offenem Mund und schweißgebadet. Ja, sie wollte heiraten, ich hatte ihr auch einmal versprochen, in einem Augenblick von Sinnesverwirrung, sie zur
Frau zu nehmen. Seitdem hielt ich sie hin, wich immer wieder aus. Jetzt, in der Wüste, erinnerte ich mich an ihren Geruch, starb vor Verlangen und wurde ganz verrückt nach einem Gläschen Schnaps. Jardena konnte den Geruch des Slibowitz, dem ich verfallen bin, nicht leiden, doch es gab gnädige Nächte, in denen sie sich erweichen ließ und mir erlaubte, Whisky zu trinken. Dann massierte ich ihren Schwanenhals, ihren geschmeidigen Rücken, drehte sie um und streichelte sie, goss das Getränk über ihren Nabel, küsste und leckte sie geräuschvoll und trank sie bis zur Trunkenheit, und sie lachte und lachte wie ein Kind. O Jardena, Jardena, warum warfst du mich weg wie eine angebissene Frucht? Eines Tages werde ich schließlich doch noch reifen!
     
    Ich lieh mir von Armosa das Transistorgerät und sonderte mich ab, um Sa’ut al-Arab, die Stimme Arabiens, aus Kairo zu hören. Ich geriet in eine Lifesendung mit Ahmed Schukeiri, dem Oberhaupt der PLO.
    »Israel, du hast einen Kopf aus Wachs, warum gehst du in der Sonne?«, spottete Schukeiri. »Werft sie ins Meer, werft die Juden ins Meer!«, brüllte der Interviewer, Ahmad Said, das Sprachrohr Nassers. Wieso störten wir ihn so, es lag doch eine ganze Wüste zwischen uns? »Packt eure Sachen und macht, dass ihr wegkommt«, fuhr Said dann mit anderer Stimme, warm und tief, sogar angenehm, fort, und ich wusste nicht, wovor ich mehr Angst haben sollte, vor dem Gebrüll oder vor der ruhigen Anweisung.
    Ich schaltete das Radio aus, und als ich es Armosa zurückbrachte, kam mir wieder der hartnäckige Gedanke: Warum hatten wir uns keinen anderen Ort zum Leben ausgesucht, sicher und ruhig, fern von diesem tosenden, verrückten Land? Wozu taten wir uns das an?
    Als ich noch ein Kind war, erzählte mir ein alter Mann von der Seelenwanderung. Er sagte, die Seele verlasse den Körper des Toten, kreise innerhalb der Familie, reinkarniere sich in einem neuen Säugling und bleibe dort bis zu seinem Tod. Mich hatte
man nach meinem Onkel mütterlicherseits genannt, Nuri Elias Nasseh, der noch nicht dreißigjährig verstorben war. Vielleicht war meine Stunde gekommen, und seine Seele, die in mich gefahren war, würde in Bälde entfleuchen. Die dreißig rückten schließlich immer näher. Als ich Trabelsi, halb im Scherz, halb im Ernst, diese Geschichte erzählte, spürte er sofort die Angst, die dahinter stand, nahm mich am Arm und führte mich geradewegs zu Slutzki, dem Hobby-Chiromanten unter den Reservisten, damit er mir mein Schicksal aus der Hand lese.
    Eine geschlagene Stunde redete Slutzki über meinen Charakter, meine Karriere, die Frauen in meinem Leben, eine große Liebe, die auftauchen und mit gebrochenen Herzen enden würde, nur den Tod berührte er nicht. Als ich es wagte, ihn danach zu fragen, zeigte er mir die Lebenslinie, die lang und deutlich war. Danach stellten sich Trabelsi selbst und Aflalo bei ihm an, die ebenfalls schöne, kräftige Lebenslinien hatten. Wie sich herausstellte, hatte er recht und unrecht, doch wir wollen nicht vorgreifen.
     
    Quälendes Kopfweh trieb mich dazu, mir ein ruhiges Plätzchen zu suchen, um mich zu beruhigen, und ich rettete mich vor dem gärenden Tumult im Zeltareal unter einen Eukalyptusbaum am Rand des Panzerparkplatzes. Ich setzte mich in seinen Schatten und lauschte dem Wind, der raschelnd durchs Laub fuhr und darin blätterte wie in einem Gedichtband, einmal zu vertiefter Betrachtung verharrte, einmal im Flug darüber hinweghuschend und ein andermal hineinspähend. Der Wind tat mir gut, doch das Kopfweh legte sich nicht. Ich rauchte anscheinend zu viel.
    Ohne es zu merken, riss ich Eukalyptusblätter ab, zerrieb sie zwischen den Fingern und sog den stechend scharfen
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