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Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze
Autoren: Werner Schrader
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Greif ganz anders um. Der kriegt sein Fressen, ab und zu mal einen freundschaftlichen Klaps, und ansonsten hat er die Schnauze zu halten und zu parieren. Schließlich ist er doch nur ein Hund.“
    Jan lächelte versonnen.
    „Natürlich“, sagte er, „Greif ist nur ein Hund. Aber meine Lady ist mehr.“
    Als er das dritte Glas getrunken hatte, erhob sich Lady auf ihre Hinterbeine, wuchs großkopfig vor dem Fenster auf und tatschte hörbar an die Scheibe.
    „Ich komme ja schon“, rief Jan, „sei nicht so ungeduldig, Lady!“
    Der Wirt nahm das Geld und räumte die Gläser ab.
    „Mensch, Jan“, sagte er, „wie kannst du dich von dem Hund bloß so antreiben lassen! Ist er der Herr oder du?“
    Jan winkte ab.
    „Das verstehst du nicht“, sagte er. „Lady ist eine Frau, und wenn sich eine Frau um uns kümmert und uns ein wenig in Gang bringt, dann ist das nichts als Liebe.“
    „Liebe?“ rief der Wirt. „Die reinste Schurigelei ist das! Der Köter pfeift, und du springst!“
    „Nun übertreib man nicht“, entgegnete Jan, während er schon die Tür öffnete, „pfeifen kann er nämlich gar nicht.“ Und dann lief er hinter dem Handwagen her, den Lady schon gut hundert Meter weitergezogen hatte.
    Kaum hatte er den Hund eingeholt, da stieß das Gespann auf Klaus Köster, den Musikanten aus Farge, der auf einer Luftpumpe den River-Quai-Marsch blasen und auf einer schwingenden Säge alle Melodien fideln konnte. Er hatte einen Quetschkasten umgehängt und nödelte „Butterfly, my butterfly“.
    Lady blieb stehen und begrüßte ihn, indem sie ihr Schaum flockendes Maul an seinen Hosenbeinen abwischte. Klaus bedankte sich dafür mit einer Verbeugung und spielte nun ganz zart und weich.
    Jan zündete seine Pfeife an. Und weil Lady ihn dringend anblickte, spannte er sie aus. Sofort legte sie sich an den Rand des Deiches und streckte ihre Schnauze ins kühle Gras, um sich in der angenehmsten Lage den süßen Klängen hingeben zu können. Klaus spielte sieben Strophen und wiederholte den Refrain der letzten fünfmal. Lady, gelockert und entspannt wie ein Bettvorleger, hielt die Augen geschlossen und lauschte ergriffen. Jan beobachtete sie. Nach einer Weile legte er den Finger auf den Mund und flüsterte Klaus zu, er möchte nur noch ganz leise spielen, Lady schlafe schon halb.

     
    Klaus nickte. Er kannte den Bernhardiner und hatte ihn schon öfter eingeschläfert. Im zartesten pianissimo spielte er nun „Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein“. Das war Ladys Lieblingslied.
    Jan beugte sich zu ihr hinunter.
    „Spiel weiter“, wisperte er, „sie summt noch mit!“
    Da dudelte Klaus unendlich gefühlvoll „Guten Abend, gut’ Nacht“ und „Heidschi bumbeidschi, schlaf lange“.
    Endlich verriet ein Schnarchton, daß Lady eingeschlummert war. „Hör zu, Klaus“, sagte Jan, indem er dem unrasierten Mann auf die Schulter klopfte, „ich muß mir aus Wasserhorst ein paar Dachziegel besorgen. Bleib bei Lady und paß auf, daß keiner sie bösartig weckt. Wenn ich zurückkomme, trinken wir dann noch ein Glas Bier zusammen.“
    „Geht in Ordnung“, antwortete Klaus, „ich hab’ heute Zeit genug. Aber laß mir eine Pfeife Tabak hier.“
    Jan stopfte dem Arbeitslosen den gewaltigen Pfeifenkopf voll und wartete, bis er sich auf der Böschung ins Gras gelegt hatte, ganz nahe bei Lady, dann ergriff er die Deichsel des Handwagens und zog los. Von der abgebrochenen Wasserhorster Schule war kein Brocken zurückgeblieben, weder ein Mauerstein noch ein Dachziegel. Aber Engelhard Diekmann wollte mal nachsehen, ob er noch welche hatte. Vorher jedoch lud er Jan Tabak in der Gaststätte „Zum Wiesenheim“ zu einem Halben ein. Das verzögerte die Sache natürlich etwas, zumal Jan sich nicht lumpen lassen durfte und auch einen ausgeben mußte.
    Leider stellte sich dann heraus, daß die Dachziegel, die Engelhard vom Boden holen wollte, beim Polterabend von Ingrid Pohlmann draufgegangen waren. Aber er konnte Jan wenigstens mit drei leeren Waschmitteleimern aushelfen, zum Unterstellen unter künftige Leckstellen. Das war ja auch was wert.
    Erst nach zwei Stunden kam Jan zu Klaus und Lady zurück.
    Sie schliefen noch beide.
    Lady hatte ihre linke Vordertatze unter Klaus’ Kopf gelegt und die rechte auf seine Brust. Ihre große Schnauze lag an seinen Haaren, die sich im Rhythmus ihres Atmens aufstellten und niederlegten. Jan betrachtete die beiden lächelnd. Er setzte sich auf den Handwagen, stopfte sich eine Pfeife und
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