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Jagdsaison. Roman.

Jagdsaison. Roman.

Titel: Jagdsaison. Roman.
Autoren: Andrea Camilleri
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Jahres um vier Uhr nachmittags mit einer mächtigen Truhe auf den Schultern, die über und über mit funkelnden Kupferbeschlägen bestückt war – die Vorstellung, sie nicht abschrauben und nach Hause nehmen zu dürfen, versetzte seinem Magenmund einen heftigen Schmerz –, schwankend über die Straßen und Plätze von Vigàta ging und laut rief: »Ich habe diese Truhe vom ›Franceschiello‹ geholt, der heute angelegt hat.«
    »Ich bin damit auf dem Weg zur Locanda der Signora Concertina Adamo.«
    »Die Truhe gehört dem Fremden, der mit dem Dampfboot angekommen ist.«
    Als dem Geometer Fede, der schwer atmend damit beschäftigt war, sein Mittagessen in Form eines halben Zickleins aus der Backröhre zu verdauen, diese Worte zu Ohren kamen, sprang er wie von einer Hornisse gestochen vom Bett, schlüpfte in seine Kleider und lauschte der Stimme Sasàs, die jetzt aus größerer Entfernung kam. Der Geometer war als »Freund der Fremden« im Ort bekannt, denn er besaß das außerordentliche Talent, jeden Neuankömmling so in die Mangel zu nehmen, daß er nach wenigen Fragen schon dessen gesamte Lebensgeschichte kannte; die gab der Geometer dann vor der aufmerksamen Zuhörerschaft im Zirkel zum Besten. Er hätte einen hervorragenden Polizisten abgegeben, aber er besaß weder den Kopf noch die Seele eines Schergen. Atemlos traf er bei der Locanda ein, als Sasà, sein Lohngeld zählend, gerade den Rückweg antrat.
    »Der Fremde ist nicht hier, er ist spazierengegangen. Die Truhe habe ich in sein Zimmer schaffen lassen; er sagt, daß sie vorerst nicht geöffnet werden darf. Und er hat mir das Geld für Sasà dagelassen. Reicht Ihnen das, Herr Fede?« platzte Frau Adamo heraus, bevor der andere überhaupt A hatte sagen können.
    »Aber hat er Ihnen denn seine Ankunft angekündigt?«
    »Gewiß doch, vor einem Monat schon, durch einen Matrosen des ›Franceschiello‹, der neulich, als das Postschiff anlegte, auch vier Koffer gebracht hat.«
    »Dann wird er wohl ein Weilchen in Vigàta bleiben.«
    »Er hat mir zwei Wochen Vollpension im voraus bezahlt.«
    »Weißt du, wie er heißt?«
    »Natürlich. Ich habe doch zwei Briefe, die für ihn angekommen sind, in Verwahrung. Sein Name ist Santo Alfonso de’ Liguori.«
     
    Nachdem er Straßen und Gassen nach ihm abgesucht hatte, entdeckte er ihn in der Nähe des Hafens, wie er einen Palazzo mit Säulen betrachtete, und auch wenn er ihn nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte, war ihm klar, daß er der Fremde sein mußte. Mit der Genugtuung eines Bluthundes, der sein Gespür durch die Flucht des Wilds bestätigt sieht, näherte er sich ihm.
    »Guten Abend. Ich bin der Geometer Fede. Kann ich Ihnen irgendeinen Dienst erweisen?«
    »Danke, ich brauche nichts«, erwiderte der Fremde und führte zwei Finger zum Gruß an die Mütze.
    »Schön ist dieser Palazzo, nicht wahr?«
    »Ja. Früher stand er noch nicht da.«
    »Wann früher?« fragte der Geometer geistesgegenwärtig, um in dieser Lücke weiter zu bohren.
    »Früher«, wiederholte der Fremde knapp und setzte seinen Weg fort.
     
    Der Weg zur Locanda führte den Mann erneut über die Piazza, und er verspürte dasselbe Unbehagen wie beim ersten Mal. Nur daß er jetzt nicht mehr nach dem Grund zu suchen brauchte: Der Alte saß in unveränderter Haltung da, an derselben Stelle wie nach dem Mittagessen, und maß den fremden Mann mit stechendem Blick. Der wiederum fixierte den Punkt zwischen den Augen des Alten und näherte sich ihm mit wohlbedachtem Schritt, als ginge er einer Gefahr entgegen.
    Als er auf der Höhe des Alten war, dessen Namen er nicht kannte, tippte er mit zwei Fingern gegen seine Mütze und sagte: »Hier bin ich.«
    Er selbst erschrak als erster. Was für Worte kamen ihm da über die Lippen? Welchen Scheiß sagte und tat er bloß? Und warum?
    Der alte Mann schlug die Augen nieder und murmelte wie schon am Nachmittag: »Heilige Jungfrau!«
    »Gestatten, Euer Ehren?«
    Die Stimme, so dicht an seinem Ohr, wirkte wie ein Pistolenschuß auf den Fremden, dessen Nerven angespannt waren wie eine Geigensaite. Er taumelte drei Schritte rückwärts und war drauf und dran, das Weite zu suchen. Die Stimme gehörte einem großen, beleibten Mann um die Sechzig, der schwarz gekleidet und über und über mit Grinden bedeckt war. Er hielt eine Decke in der Hand, die er behutsam um den Alten legte. Als er damit fertig war, drehte er sich um und betrachtete den Fremden.
    »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
    »Ich wünsche einen
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