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Jäger und Gejagte

Jäger und Gejagte

Titel: Jäger und Gejagte
Autoren: Nyx Smith
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Rückweg zur Hütte dadurch erleichtern, daß sie sich zuerst sättigt, aber der Geruch des vielen Blutes wird alle möglichen Aasfresser anlocken, und das würde sie aufhalten. Sie wird den ganzen Kadaver zu einer Stelle nahe der Hütte schleifen, so nahe, daß das Junge ihn problemlos erreichen kann, aber nicht nah genug, um andere Raubtiere auf ihren Unterschlupf aufmerksam zu machen.
    Sie schließt ihre mächtigen Kiefer um den Hals des Elchs und fängt an zu zerren. Der Weg ist lang und hart. Der Kadaver ist schwer, und ihn wegzuschleifen, erweist sich als mühselig und anstrengend. An manchen Stellen liegt der Schnee einen Meter hoch oder höher. Das Geweih des Elchs bleibt immer wieder an Baumwurzeln und Büschen hängen. Und ihr Instinkt läßt ihr keine Ruhe. Beute, die es wert ist, gejagt und gefangen zu werden, ist in diesen nördlichen Wäldern selten. Hasen und andere Kleintiere gibt es im Überfluß, aber wenn sie sie nicht im Schlaf überraschen kann, sind sie den Aufwand nicht wert.
    Tikki hat viele Tage gehungert, seit die kalten Winde des Herbstes gekommen sind. Und jetzt knurrt ihr Magen. Ihre Pranken zucken angesichts des Drangs, sich über den Elch herzumachen. Ihre Ohren zucken voller Ungeduld. Ihr Instinkt fordert sie auf, sich an dem Kadaver gütlich zu tun, sich den Bauch bis zum Bersten mit dem lebensspendenden Fleisch zu füllen - jetzt! sofort! -, solange sie noch die Möglichkeit hat. Sie würde es auch ohne zu zögern tun, würde sie nicht von einem einzigen Gedanken beherrscht, der Vorstellung von ihrem Jungen, wie es in der weit entfernten Hütte auf sie wartet.
    Das Junge hat alles verändert. Dieses junge Leben ist für Tikki mittlerweile genauso wichtig wie ihr eigenes. Sie versteht eigentlich nicht, wie das möglich ist. Sie hat darüber nachgedacht, bis ihr der Kopf vom Denken weh tat, und ist dennoch zu keinem Ergebnis gekommen. Das Junge in ihrem Bauch auszutragen und dann zu gebären, war mit großen Anstrengungen verbunden; sie hat auch früher schon große Anstrengungen auf sich genommen, aber keine hat sie so stark beeinflußt. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß sie das Junge gesäugt hat. Vielleicht ist es auch irgendeine Magie.
    Sie weiß nur, daß sie ihr Leben für das Junge opfern würde - das weiß sie mit absoluter Gewißheit -, und so kommt es auch, daß sie sich mit dem einen Punkt abgefunden hat, der der unglaublichste von allen ist. Daß ihr manche Dinge, vielleicht auch nur dieses eine, wichtiger als ihr eigenes Überleben sind.
    Bis jetzt hat sie das nicht für möglich gehalten. Bis jetzt hat sie gedacht, daß ihr Leben Vorrang vor praktisch allem anderen auf der Welt hat. Wie kann das sein? Darüber denkt sie ständig nach.
     
    Vielleicht übersteigt es ihr Begriffsvermögen.
    Die schwelende Sonne versinkt hinter den Berggipfeln. Die Dämmerung geht in das düstere Grau der Nacht über. Aus der Ferne kommt das bedrohliche Heulen eines Wesens, das Tikki erst einmal gesehen hat - eine seltsame zweibeinige Bestie mit Flügeln und einem Horn. Das Wesen ist kein gewöhnlicher Zweibeiner. Tikki läßt den Elch los, um den Kopf zu heben und eine Warnung zu brüllen. Nur Schweigen antwortet ihr, und das ist gut. Sie hat ein großes Revier abgesteckt, das sie eifersüchtig bewacht. Gute Beute ist selten. Ihre Domäne mit anderen Jägern zu teilen, hieße, weniger Nahrung für sie und weniger für das Junge.
    Sie setzt ihren beschwerlichen Weg fort. Kurz darauf erspäht sie den Schädel eines bärähnlichen Tiers, aber mit kurzen, gekrümmten Hauern, der auf einen Baumstumpf gespießt ist. Weitere Schädel: ein Hirsch, ein Elen, etwas wie ein Wolf, aber größer, etwas, das einem Löwen ähnelt. Viele dieser Schädel, die von Aasfressern sauber abgenagt worden sind, hängen in Bäumen oder stecken auf Pfählen. Sie sind ihre Warnungen an die Zweibeiner, an Wesen, deren Sinne zu stumpf sind, um die deutlichen und offensichtlichen Markierungen wahrzunehmen, die sie in kilometerweitem Umkreis um die Hütte an Bäumen und Sträuchern hinterlassen hat, Markierungen, die diesen Teil des Waldes als ihren persönlichen Besitz kennzeichnen.
    Der Schnee unter ihren Pfoten wird hart und krustig, da er mit Eiskristallen durchsetzt ist. Merkwürdige Gerüche dringen an ihre Nase. Tikki hebt den Kopf, um zu wittern. Die Gerüche sind schwach, aber durchdringend und lassen ihre Nervenenden zucken. Sie künden von Menschen und ihren Maschinen. Zuletzt hat sie am Winteranfang
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