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Isegrim

Isegrim

Titel: Isegrim
Autoren: Antje Babendererde
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Gängen ist und schon fünf Jahre auf dem Buckel hat. Er überholt mich, kurz bevor aus dem Forstweg Pflasterstraße wird und wir unser Haus am Waldrand erreichen.
    Kai steigt ab und öffnet das Hoftor. Wilma, unsere braun-weiße Deutsch-Drahthaar-Hündin kommt angelaufen und begrüßt uns schwanzwedelnd. Kai stellt sein Fahrrad ab und krault sie hinter den Ohren. Fremden zeigt Wilma die Zähne und knurrt sie an, aber Kai gehört für sie zur Familie. Ich schiebe mein Rad über den gepflasterten Hof um das Haus herum in den Schuppen.
    Die Luft ist warm und duftet nach Frühling. Die Apfelbäume in unserem Garten stehen in voller Blüte. Als ich um die Ecke biege, erwartet mich eine Sensation: Meine Mutter sitzt mit ihrem Netbook auf der Terrasse. Ma ist Schriftstellerin und schreibt wilde Abenteuerromane für Kinder. Offensichtlich ist es einer ihrer guten Tage und mit etwas Glück werde ich mir trotz der Schrammen im Gesicht keine Moralpredigt anhören müssen.
    Â»Du hast Jola also gefunden«, sagt Ma zu Kai, als wir vor ihr stehen. Ich halte den Kopf abgewandt, damit sie die Kratzer auf meiner Wange nicht sehen kann – jedenfalls nicht sofort.
    Â»Ja, sie war im Wald. Danke für den Tipp.«
    Ich verdrehe spöttisch die Augen. Wo, zum Teufel, hätte ich sonst sein sollen? Im Kino vielleicht? Im Schwimmbad? Im Eiscafé?
    Ma seufzt. Für sie ist der Wald ein Ungeheuer mit spitzen Zähnen und scharfen Klauen. Ein dunkler Quell unzähliger Gefahren. Sie denkt unaufhörlich, mir oder auch Pa könne etwas Schreckliches zustoßen, und das ist für uns alle drei ein immerwährendes Problem.
    Â»Saskia hat angerufen.« Die Sorgenfalte auf Mas Stirn ist noch nicht verschwunden. »Ich soll dir ausrichten, dass es Marie Scherer nicht gut geht, deshalb hat Agnes euer Treffen für heute abgesagt.«
    Â»Okay.« Ich bin enttäuscht, denn nun wird wohl nichts mehr werden aus Saskias Zeitzeugenbericht. Es tut mir leid für sie, weil sie sich so darauf versteift hat.
    Ich registriere die Erleichterung in Kais Gesicht. Er ist froh, dass er mich nun doch noch für sich hat.
    Â»Ich habe Streuselkuchen gebacken«, sagt meine Mutter, »er steht in der Küche. Milch ist im Kühlschrank.«
    Â»Danke, Ma.« Ich greife nach Kais Hand und ziehe ihn durch die offen stehende Terrassentür nach drinnen.
    Unser Haus ist ein einstöckiges, über hundert Jahre altes Fachwerkhaus in Form eines rechten Winkels, mit weißem Putz, schwarzen Balken und einem roten Ziegeldach. Es hat Frieda und August Schwarz gehört, den Eltern meines Vaters, und als ich klein war, haben wir alle zusammen darin gewohnt.
    Opa August starb vor ein paar Jahren an einem Herzinfarkt und Oma Frieda zog zu ihrer Schwester in die Nähe von Hamburg. Inzwischen hat sie Alzheimer und lebt in einem Pflegeheim. Ich sehe sie nur noch ein- oder zweimal im Jahr und sie erkennt mich nicht mehr. Sie erkennt nicht einmal ihren eigenen Sohn.
    Mein Vater hat das Haus nach und nach umgebaut und modernisiert und meine Mutter hat es mit warmen Farben und einer Mischung aus alten Bauernmöbeln, hellen Regalen und schönen Stoffen zu einem gemütlichen Zuhause gemacht. Sie hat wirklich ein Händchen für so was.
    Wir durchqueren das Wohnzimmer mit dem Kamin und dem auffällig gemaserten Holzfußboden. Schon in der großen Diele duftet es nach frisch gebackenem Kuchen und mir läuft das Wasser im Mund zusammen.
    In der Küche stürzen wir uns auf den Streuselkuchen und essen jeder ein Stück – gleich vom Blech. Ich hole Gläser und wir trinken kalte Milch aus dem Kühlschrank. Lachen über unsere Milchbärte, wie wir es seit Jahren tun. Paul, mein grau getigerter Kater, der schlafend auf seinem Kissen in der Fensterbank gelegen hat, macht einen Buckel, springt auf den Boden und streicht maunzend um meine Beine. Ich berühre sein glänzendes Fell, das unter meinen Fingern leise knistert. Paul bekommt auch ein Schälchen verdünnter Milch, genüsslich beginnt er zu schlecken.
    Verstohlen beobachte ich Kai. Er schaut mich an wie ein liebeskranker Kater und ich tue so, als würde ich es nicht merken, denn es macht mich verlegen.
    Was siehst du, Kai?
    Pa nennt mich manchmal »meine Schöne«, doch es gibt weitaus hübschere Mädchen als mich. Mein Gesicht ist zu breit und meine hellgrauen Augen stehen weit auseinander. Ich mag
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