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Inspektor Jury spielt Katz und Maus

Inspektor Jury spielt Katz und Maus

Titel: Inspektor Jury spielt Katz und Maus
Autoren: Martha Grimes
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Zumindest glaubte sie, daß es sich um eine Frau handelte. Es war schwer zu erkennen; der Regen floß in Strömen an dem Telefonhäuschen herunter. Pollys gelber Regenmantel war durchweicht, das Wasser sprühte ihr wie Gischt in die Augen. Ein Zickzackblitz färbte das blutrote Häuschen einen Moment lang knallgelb, aber diese dämliche Kuh quasselte einfach weiter.
    Wenn Polly nicht sowieso schon völlig fertig gewesen wäre, hätte sie nicht daran gedacht, gegen die Glastür zu hämmern, ebensowenig, wie sie auf die Idee verfallen wäre, bei der alljährlichen Verleihung des Booker-Preises eine Rede zu halten. Aber die Gelegenheit würde sie eh nie kriegen. Die Bäume zu beiden Seiten der High Street würden den Preis gewandter entgegennehmen als Polly Praed. Jetzt schon zehn Minuten. Zehn Minuten. Am liebsten hätte sie geschrien.
    Leider war Schreien auch nicht drin. Bei ihrem Urschreikurs in London hatte sie kläglich versagt. Man hatte ihr befohlen, zu Boden zu fallen und zu schreien, und sie hatte dagesessen wie ein Fels in der Brandung.
    Den Selbstbehauptungskurs in Hertford hatte sie ebenfalls geschmissen.
    Bei jedem Anruf ihres Verlegers bekam sie Angstkrämpfe; er rief immer an, um zu «hören, wie sie vorankam». In seiner hinterhältig-freundlichen Art.
    Die einzigen Menschen, mit denen sie einigermaßen zurechtkam, waren ein paar Freunde in Littlebourne, und jetzt verfluchte sie sich selbst, weil sie so idiotisch gewesen war, nicht von vornherein dort zu bleiben.
    Es schüttete, der Blitz zerriß den Himmel, und dieser Widerling vom «Haus Diana» hatte die Unverschämtheit besessen, zu behaupten, das Telefon dort sei nur zum privaten Gebrauch, und sie zu diesem Telefonhäuschen auf dem Hügel geschickt.
    Am liebsten hätte sie sich dagegengeworfen und das verdammte Ding samt der Frau umgekippt, die wahrscheinlich nacheinander sämtliche Einwohner von Ashdown Dean anrief. Zum Glück war es ein winziges Dorf. Noch zwanzig Gespräche oder so. Wenn ihr Verleger sie nicht angerufen hätte, um «zu hören, wie sie vorankam», wäre sie nie im Leben zu dieser hirnrissigen literarischen Exkursion aufgebrochen. Zuerst Canterbury, dann Rye, als ob sie dort wie von selbst auf das Niveau von Chaucer und James gelangen würde. Dann nach Chawton, Jane Austen. Nicht mal Jane brachte die Dinge ins Rollen.
    Wäre es ihr gelungen, sich bei dem Selbstbehauptungstraining zu behaupten, hätte sie von diesem Grimsdale einfach verlangt, sein Telefon benutzen zu dürfen. Aber da hatte der Sturm auch noch nicht mit Hurrikanstärke getobt. Also war sie hier hochgetigert.
    Es goß wie aus Kübeln.
    Wenn doch wenigstens ihr Kater Barney wieder da wäre. Dieser grauenhafte Mensch hatte gesagt, Tiere seien nicht zugelassen. Barney war ans Auto gewöhnt, er hatte ja die literarische Pilgerfahrt mit ihr zusammen gemacht. Trotzdem hatte sie sich in der Dunkelheit nach draußen geschlichen und ihn eingemummelt hineingetragen. Aber jetzt war Barney verschwunden.
    Wenn sie nicht aus dem Urschreikurs geflogen wäre, hätte sie es geschafft, zur Polizei zu gehen und da jemanden rauszubrüllen, ganz egal, wen. Sie wußte aber, wen sie anrufen konnte und wer ihr Rat geben würde, denn seit zwei Jahren erteilte er ihr bereitwillig Ratschläge, ob sie sie wollte oder nicht.
    Außer sich vor Wut zog Polly endlich an dem Metallgriff und riß die Tür auf. «Ver zeih ung! Es ist ein Notfall !»
    Die Frau reagierte schneller als erwartet. Sie fiel rücklings auf Polly Praeds Füße. Der Hörer glitt ihr aus der Hand und baumelte herab. Ein Blitz zuckte, und Polly sah ein wächsernes Gesicht.
     
    Es war wie in ihren eigenen Geschichten und deshalb um so unfaßbarer.
    Hier hockte sie nun auf einem harten Stuhl auf der Polizeiwache und wartete darauf, daß Constable Pasco zurückkam. Sie hatte für ihre Krimis einiges recherchiert und vermutete, daß die Leichenstarre bei der Toten, deren Kopf auf ihren Füßen gelandet war, noch nicht eingesetzt hatte. Nachdem sie die Füße vorsichtig weggeschoben hatte, blieb ihr gar keine andere Wahl, als über die alte Frau hinwegzuschreiten und die Polizei anzurufen. Und dann war an der gottverlassenen Telefonzelle im Nu ein Volksfest mit wirbelnden blauen Lichtern und Dorfbewohnern im Gange. In Windeseile war man aus den Cottages und engen Straßen Ashdown Deans zusammengeströmt. Polly wurde von Menschen umzingelt, befragt und schließlich hier abgeladen.
    Seit gut zwanzig Minuten saß sie auf dem Stuhl und
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