Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inselkoller

Inselkoller

Titel: Inselkoller
Autoren: Reinhard Pelte
Vom Netzwerk:
leichter, weil es keiner, weder sein Chef noch seine Kollegen, von
ihm erwartete. Das öffentliche Interesse an den Fällen war nie da gewesen oder schon
lange erloschen. Warum sollte er Menschen nachstellen, die in Ruhe gelassen werden
wollten?
    Jung behielt seine Gedanken jedoch für sich.
Den hin und wieder auftretenden Fragen seines Chefs begegnete er mit dem richtigen
Hinweis, dass er der Aufklärungsarbeit der Kollegen nichts wirklich Neues hatte
hinzufügen können. Das freute alle, weil er damit bescheinigte, dass gute Arbeit
geleistet worden war. Aber darüber hinaus erfreute Jungs Kollegen sein mangelnder
Erfolg besonders deswegen, weil er ihnen als arroganter Besserwisser bekannt war.
     
    Jungs Ernennung zum Dezernatsleiter mochte nach außen wie eine Auszeichnung
erscheinen. In Wahrheit war es eine Strafversetzung, eine sowohl weise als auch
elegante Entscheidung seines Chefs, die in wunderbarem Einklang mit den Gepflogenheiten
des Berufsbeamtentums stand.
    Bevor Jung nach seinem Studium in den Polizeidienst
eingetreten war, hatte er sich seinen Schritt gründlich überlegt. Er war davon überzeugt,
dass Polizeiarbeit, und hier in erster Linie die Verbrechensbekämpfung, die wesentlichste
Voraussetzung sei, dass Bürger den demokratisch verfassten Staat als ihren Staat
annehmen, sich für ihn einsetzen und Pflichten übernehmen. Ihre körperliche und
materielle Unversehrtheit, ihre Rechte, ihre Sicherheit müssten ernst genommen werden.
Die Anstrengungen, den Schutz dieser Werte sicherzustellen, müssten als höchster
Ausdruck staatlich legitimierter Gewalt wahrnehmbar sein. Eine gute Polizeiarbeit
hätte sich – so war er überzeugt – an dieser Leitlinie auszurichten. Qualität und
Effektivität sollten die Kriterien sein, um die herum die Arbeit zu organisieren
sei. Das hätte mit einer guten Ausbildung anzufangen. Die besonderen Fähigkeiten
der Beamten sollten erkannt, gefördert und eingesetzt werden. Langjährige Erfahrung
sei ein hoch einzuschätzendes Gut und sollte neben einem nüchternen Blick auf die
Wirklichkeit zur Besetzung von Leitungsfunktionen qualifizieren. Jung hätte über
dieses Thema aus dem Stand lange, überzeugende Vorträge halten können.
    Nun lernte er seinen ersten Kriminaldirektor
kennen. Der inhalierte von 50 filterlosen Zigaretten pro Tag jeweils nur drei Züge
pro Zigarette, um seine Gesundheit zu schonen. Er fiel dadurch auf, dass er den
Schreibdienst in den Wahnsinn trieb, weil er für einen halbseitigen Brief Tage brauchte,
an denen er immer wieder Korrekturen anzubringen hatte. Schließlich war die Liste
der Mitadressaten länger als der ganze Brief. Dieser Direktor erwarb sich den Ruf
eines eifrigen Arbeiters, weil er regelmäßig über die Dienstzeit hinaus in seinem
Büro anzutreffen war; doch in Wahrheit nicht etwa, weil er zu viel zu tun gehabt
hätte, sondern weil er mit dem bisschen Schreiben nicht zum Ende kam und nicht zu
früh bei seiner Frau zu Hause sein wollte. Jung brauchte nicht viel Fantasie, sich
vorzustellen, wie lange dieser Direktor mit der Abfassung der regelmäßig anfallenden
Beurteilungen seiner Beamten (an die 50) beschäftigt sein musste und für was ihm
nun – außer Zigaretten zu rauchen – noch an Zeit für andere Arbeiten übrig blieb.
Wie sich später herausstellte, waren das u. a. Gründe für dessen Beförderung gewesen:
Für die Ermittlungsarbeit war er einfach unbrauchbar. Hier waren tägliche Berichte
zu verfassen, die er in angemessener Zeit nicht fertigbrachte. Er musste Qualitäten
haben, die Jung verborgen blieben.
    Die Arbeit in seiner Abteilung drehte sich
– so schien es Jung – in erster Linie um Dienst- und Urlaubspläne, um die Einhaltung
der Arbeitszeitverordnung und der Dienstzeit, um die Anzugsordnung, die Frauenquote,
um Mobbing und Alkohol am Arbeitsplatz, um Beförderungsaussichten, die nächste Gehaltserhöhung,
um Krankheiten, um Stress mit Vorgesetzten und Untergebenen, um die Kaffeekasse,
den verdreckten Kühlschrank und so weiter und so fort. Dass die Abteilung dennoch
Arbeitsergebnisse vorweisen konnte, nötigte ihm nur ein Kopfschütteln ab. Er stellte
sich vor, was geleistet werden könnte, wenn die Gewichtung besser verteilt wäre,
wie viel erfolgreicher sie sein könnten und so beschäftigt, dass sie keine Zeit
dafür aufbringen konnten, die Einhaltung der Dienstzeiten zu überwachen (ein beliebter
Zeitvertreib bei Chefs und Mitarbeitern).
    Die Wahrnehmung seiner Arbeitsumgebung brachte
Jung mehr und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher