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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
Autoren: Geraldine Brooks
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anderes, als um ihn zu trauern. Wir gingen unseren Pflichten nach, so wie es eben sein musste, und dann setzten wir uns zum Gebet nieder, obwohl mein Verstand vom Kummer und all den Erinnerungen so umnebelt war, dass ich oft nicht einmal das fertigbrachte. Erst im darauffolgenden späten Frühjahr dachte ich wieder an meinen Unterricht und fühlte mich endlich imstande, meinen Vater zu fragen, wann wir ihn wieder aufnehmen würden. Er jedoch sagte mir, er habe nicht die Absicht, mich weiter zu unterweisen, da ich den Katechismus schließlich bereits auswendig könne.
    Doch was er nicht verhindern konnte, war, dass ich den Unterricht mit Makepeace belauschte. Und so hörte ich zu und lernte. Mit der Zeit sammelte ich auf diese Weise mein Wissen an: ein wenig Latein hier, ein bisschen Hebräisch da, ein Quäntchen Logik und einen Happen Rhetorik, immer dann, wenn mein Vater dachte, ich sei mit dem Schüren des Herdfeuers beschäftigt oder sitze am Webstuhl. Mir fiel es nicht schwer, all diese Dinge zu lernen, während sie Makepeace, der doch zwei Lenze mehr zählte als ich, eher gleichgültig waren. Mit seinen gut vierzehn Jahren hätte er durchaus bereits mit dem College in Cambridge beginnen können, doch Vater hatte beschlossen, ihn noch bei uns zu behalten, in der Hoffnung, ihn besser vorzubereiten. Ich glaube, Zuriels Tod hatte Vater in dieser Entscheidung noch bestärkt, doch mein älterer Bruder trug dadurch eine große Last, denn er wusste, dass nun alle Hoffnung seines Vaters auf dem einen Sohn ruhte, der mit Frömmigkeit und emsigem Lernen in seine Fußstapfen treten sollte. Es gab Zeiten, in denen ich mir um meinen Bruder Sorgen machte. Am Harvard College würden die Lehrer bestimmt nicht so nachsichtig mit ihm sein wie unser geduldiger Vater. Doch muss ich auch zugeben, dass mein Neid diese Sorge meistens überwog. Ich schätze, es war Hochmut, der mich irgendwann zu einem Fehler verleitete: Ich begann, mich keck einzumischen und Antworten auf Fragen zu geben, zu denen mein Bruder nicht in der Lage war.
    Als ich zum ersten Mal eine lateinische Deklination zum Besten gab, war mein Vater amüsiert und lachte. Meine Mutter jedoch, die am Webstuhl saß, während ich Garn spann, zog scharf den Atem ein und schlug erschrocken die Hand vor den Mund. Damals gab sie keinen Kommentar ab, doch später begriff ich, warum. Sie hatte gespürt, was mir in meinem Hochmut entgangen war: dass Vaters Vergnügen nur flüchtig war – so wie bei jemandem, der eine Katze auf den Hinterläufen gehen sieht und über diese Kuriosität lächelt, das Kunststückchen selbst jedoch plump und nicht besonders anziehend findet. Zuerst schüttelt man nur verwundert den Kopf, doch irgendwann beginnt man sich darüber zu ärgern, denn eine Katze, die auf den Hinterpfoten läuft, vernachlässigt ihre Pflicht, Mäuse zu fangen. Irgendwann, wenn die Katze wieder Anstalten macht, ihr Kunststückchen vorzuführen, wird man sie verfluchen und nach ihr treten.
    Je mehr ich zu erkennen gab, dass ich all das gelernt hatte, wozu mein älterer Bruder nicht in der Lage war, desto größer wurde der Unmut meines Vaters. Seine sonst so nachsichtige Miene verzog sich zu einem finsteren Stirnrunzeln, wann immer ich mich einmischte. Mehrere Monate ging das so, doch ich begriff nicht, welche Lektion er für mich bereithielt. Bald darauf begann er nämlich, mich jedes Mal mit irgendwelchen Aufträgen außer Haus zu schicken, wenn er vorhatte, Makepeace zu unterrichten. Als ich merkte, dass dies in Zukunft immer so ablaufen würde, warf ich ihm einen Blick zu, der wohl mehr verriet, als ich eigentlich preisgeben wollte. Mutter sah es und schüttelte tadelnd den Kopf. Dennoch ließ ich die Tür laut hinter mir ins Schloss fallen. Vater folgte mir in den Hof hinaus. Er rief mich zu sich, und ich rechnete fest damit, gezüchtigt zu werden. Doch er streckte nur eine Hand aus, rückte meine etwas verrutschte Haube zurecht und streifte dabei zärtlich mit den Fingern meine Wange.
    »Bethia, warum strebst du so sehr danach, den Platz zu verlassen, den Gott dir zugedacht hat?« Seine Stimme klang sanft, nicht verärgert. »Dein Weg ist nicht der gleiche wie der deines Bruders, und er kann es nicht sein. Frauen sind nicht so beschaffen wie Männer. Du läufst Gefahr, deinen Verstand zu verwirren, wenn du an gelehrte Dinge denkst, die dich doch gar nichts angehen. Ich sorge mich nur um dein gegenwärtiges Wohl und um dein zukünftiges Glück. Es ziemt sich einfach nicht
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