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Innerste Sphaere

Innerste Sphaere

Titel: Innerste Sphaere
Autoren: Sarah Fine
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versichert. Und jedes Mal hatte ich gehofft, dass es stimmte.
    Ihr Lächeln war gespenstisch. »War ich auch. Und werde ich wieder sein. Nur in letzter Zeit war es so stressig.«
    »Das ist mir klar. Aber die Dinger da machen dich nur blöd im Kopf und müde.« Sie war nie sie selbst, wenn sie auf dem Zeug war, und das machte mich stocksauer. Ohne Pillen war sie meinebeste Freundin, die Freundin, die sich durch meine Abwehr durchgekämpft, zu der ich Vertrauen gefasst hatte, die mich glauben ließ, dass alles besser würde. Und wenn sie drauf war, war sie … weg.
    Sie schniefte. »Das ist bloß eine Flucht, Lela. Hast du nie das Gefühl, dass du abhauen musst?«
    Ich lachte freudlos. »Schon. Einmal hab ich’s versucht. Es wird stark überschätzt.«
    »Manchmal bin ich so müde. Dann will ich einfach nur schlafen.« Sie zog die Knie an die Brust und warf mir einen scheuen Blick zu. »Und manchmal will ich nicht mehr aufwachen.«
    Kalter Schweiß kribbelte auf meinen Handflächen und auf meinem Nacken, als ich mich darauf konzentrierte, ruhig und langsam zu sprechen. »Du weißt nicht, was du da redest. Ernsthaft.«
    Sie runzelte die Stirn. Ich kniff die Augen zu und zwang mich, die Worte auszusprechen. »Weißt du, dass ich vor ein paar Jahren einen Selbstmordversuch gemacht habe?«
    »Was?«
    »Ja. Es war … eine echt harte Zeit. Und ich wollte abhauen. Also hab ich mir einen Gürtel um den Hals gelegt und zugezogen.«
    Ich hörte, wie sie näher rückte, dann schloss sich ihre Hand um mein Handgelenk. »Mein Gott, Lela. Was ist passiert?«
    Ich schlug die Augen auf und starrte auf ihre blassen Finger auf meiner Haut, warm und feucht. Sie ließ mich los. »Erst dachte ich wirklich, ich hätte es geschafft. Es fühlte sich super an. Als würde ich fliegen.« Ich sah sie an. »Das lag am Sauerstoffmangel im Gehirn.«
    Sie zuckte zusammen.
    »Aber dann fiel ich. Und bin ganz unten angekommen. Harte Landung.« Ich presste die Lippen zusammen, als sich die Eindrücke in meinem Kopf überschlugen und mich zurückholten zu dem Augenblick, in dem ich starb.
Meine Finger ertasteten Kopfsteinpflaster, Steinchen bohrten sich unter meine Fingernägel. Ich hob den Kopf und sah das Tor. Seine Flügel schwangen weit auf wie die Zangen eines Rieseninsekts, seine Türme ragten in einen schwarz-roten Himmel, seine Angeln kreischten, kreischten, kreischten.
    Jenseits des Tors sah ich eine Stadt in Finsternis gehüllt.
    Mein neues Heim.
    Sie griff nach mir, ein Haken, der sich in meinen Magen bohrte. Meine nackten Füße bewegten sich automatisch, patschten auf rauem Stein. Schultern rempelten mich an. Jemand stolperte und stieß mich an, packte mich am Nachthemd. Ich riss mich los. Ich war mitten in einer unendlichen, gesichtslosen Menge und wir alle taumelten wie Zombies auf das Tor zu.
    Ich zwinkerte. Nadia sah mich mit großen Augen an. »Du bist ganz unten … Wie meinst du das?«, flüsterte sie.
    »Keine Ahnung. Vielleicht fühlt sich das Sterben einfach so an. Als würde man ganz unten ankommen.« Ich sprach langsam. Überlegte mir jedes Wort. Ich wollte es ihr so gern erklären.
Wenn du dich umbringst, landest du bei den Monstern.
Aber inzwischen wusste ich, dass Leute, die ernsthaft solche Geschichten erzählten, von den Männern mit den weißen Kitteln abgeholt wurden. Manchmal fragte ich mich, ob ich in der Psychiatrie nicht ganz gut aufgehoben wäre. Ich schauderte, als sich die Bilder in meinem Kopf überschlugen.
    Vor dem Tor standen Kolosse, wie Menschen und doch keine Menschen. Sie trugen Rüstungen wie Ritter im Mittelalter und Krummsäbel am Waffengurt. Sie schubsten die Leute durch das offene Tor, johlten und lachten, und ihre Augen glühten wie Laternen.
    »Willkommen am Selbstmordtor!«, grölte einer von ihnen immer wieder, bis sein Singsang in meinem Kopf hallte wie ein Pulsschlag.
    Mit einem Ruck stand ich auf und nahm einen Becher vom Waschbeckenrand. Mit zitternder Hand drehte ich den Wasserhahn auf, immer noch gefangen in meinen Erinnerungen.
    Ganz gleich in welche Richtung ich mich drehte, das Tor war immer vor mir, sog mich ein, hungerte nach mir.
    Ricks Stimme schloss sich um mich wie ein Netz. »Wach auf, du kleine Schlampe.«
    Mein Kopf zuckte zur Seite, als er mich schlug. Unter der Wange spürte ich die schmuddeligen Noppen meines gelben Bettvorlegers. Der Gürtel lag nicht mehr um meinen Hals. Mein Pflegevater, der sich über mich beugte, hielt ihn in seiner Pranke und ließ ihn vor meinem
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