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Industriepampe: Wie die Kunstprodukte unser Körpergefühl blenden (Ernährungs- und Bewegungsbibliothek)

Industriepampe: Wie die Kunstprodukte unser Körpergefühl blenden (Ernährungs- und Bewegungsbibliothek)

Titel: Industriepampe: Wie die Kunstprodukte unser Körpergefühl blenden (Ernährungs- und Bewegungsbibliothek)
Autoren: Dr. Anja Dostert
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anspricht, desto größer ist der Belohnungsreiz. Eine eisgekühlte, mit Kohlensäure versetzte Limonade schmeckt besser als das zimmerwarme und abgestandene Getränk. Temperatur und Prickeln sprechen die Zunge, den Mundraum und sogar das Gehör an. Die Kohlensäure verändert die Verteilung des Aromas im Mund. Man kann die Komplexität eines Lebensmittels auch durch Doppelkonsistenz erhöhen: Das Bonbon enthält eine weiche Füllung, Schokolade ist mit Keks und Caramel gefüllt (knusprig und weich).
    Menschen essen mehr, wenn Abwechslung geboten wird, sei es in einem Lebensmittel oder an einem Buffet zur Selbstbedienung. Der Mensch steht vor der Vielfalt und möchte viele Speisen probieren. Ist man satt, kann das Dessert trotzdem noch locken.Vielfalt erhöht den Appetit, hier können insbesondere Menschen, die ohnehin Probleme mit dem Essen haben, kaum widerstehen.

Routinen und Gewohnheiten
    Menschen gewöhnen sich an bestimmte Essenszeiten. Wer jeden Tag eine bestimmte Gewohnheit annimmt, z.B. eine fett- und zuckerhaltige Zwischenmahlzeit, der wird nach einigen Tagen das Bedürfnis haben, dieses Verhalten beizubehalten. Der berühmte Pawlow’sche Hund produzierte Speichel, sobald eine Glocke geläutet wurde. Der Hund hatte gelernt, dass er nach dem Läuten der Glocke gefüttert wurde. Essen ist lebenswichtig, deshalb funktioniert diese Konditionierung so schnell und nachhaltig. Das Belohnungssystem verstärkt den lernenden Effekt. Auch bestimmte Orte werden vom Menschen mit Nahrungsaufnahme verknüpft. Wer einmal die Routine etabliert hat, an bestimmten Orten immer zu essen, der bekommt quasi automatisch Hunger und Appetit.
    Schmackhaftes Essen der richtigen Zusammensetzung stimuliert das Belohnungszentrum stärker als einfache Nahrung. Aus einer einmaligen Situation entstehen Gewohnheiten, diese verstärken sich und werden zu Routinen, aus denen viele Menschen nicht mehr ausbrechen können. Das Verhalten läuft unbewusst ab, man handelt gedankenlos. Sind Gewohnheiten einmal etabliert, erinnert sich der Mensch gar nicht mehr daran, wie und wo diese entstanden sind.
    Der Neurobiologe Gerald Hüther vergleicht das Belohnungszentrum des Gehirns mit einer Gieskanne für das Lernen. Man lernt besser, wenn das Belohnungszentrum involviert ist. Durch Lernen entstehen neue Verknüpfungen im Gehirn, zunächst kleine Pfade, die dann bei Wiederholung immer stabiler werden. Ist die Straße im Gehirn einmal geteert, wird sie gedankenlos befahren und ein Umlernen ist mit viel Aufwand verbunden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese perfekt zusammengestellten, geschmacksveränderten Lebensmittel auch über den Weg des Lernens das Gehirn verändern. Jede Lernerfahrung wirkt verändernd, immer gerade dann, wenn sich das Belohnungszentrum einschaltet. Das Gehirn ist das ganze Leben lang plastisch. Kinder lernen besonders schnell, deshalb sind die speziellen Kinderlebensmittel besonders kritisch zu betrachten.
    Menschen essen heute viel häufiger außer Haus als früher, Rituale und Routinen werden durch moderne Nahrungsmittel durcheinander geworfen. Essen ist heute immer und überall verfügbar, die deutschen Einkaufspassagen sind gepflastert mit Imbissbuden und Schnellrestaurants. Zubereitung und gemeinsames Essen am Tisch sind nicht mehr notwendig, man kann im Gehen unterwegs essen oder Burger und Schokoriegel gleich im Auto verspeisen. Früher schickte es sich nicht, auf der Straße zu essen, heute ist es ganz normal, wenn jemand in der U-Bahn ein Fast Food-Menü verspeist.
    Die Essgewohnheiten haben sich verändert. Das traditionelle Frühstück bestand aus Brot und Brötchen, Marmelade, Käse und Wurst. Kohlenhydrate, Fett und ein wenig Eiweiß. Zwischen 12 und 13 Uhr wurde zu Mittag gegessen, dies war die Hauptmahlzeit des Tages. Kartoffeln, Gemüse und Fleisch, unter der Woche auch ein Fisch- oder Eiergericht. Kaffee und Kuchen gab es nur am Sonntag, meist gemeinsam mit Freunden und Familie. Um 18 Uhr gab es Abendbrot, üblicherweise eine kalte Mahlzeit mit Brot, Käse, Wurst und Salat oder Tomaten.
    Aus dem klassischen deutschen Frühstück ist ein schnelles Frühstück geworden, dass häufig aus zuckerhaltigen Cornflakes, zuckerhaltigen Fertigmüslis, gezuckertem Joghurt oder Obst beruht. Einige Menschen frühstücken gar nicht. Die Routine der drei täglichen Mahlzeiten hat sich weitgehend aufgelöst, die Verfügbarkeit von Snacks, Zwischenmahlzeiten und Fast Food macht es möglich, dass man immer essen kann, wenn man
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