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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Autoren: Robert Merle
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morgen hörte ich Euch mit Eurem Bruder in einem Kauderwelsch reden, das sich wie das Französisch anhörte, das man in Frankreich spricht.«
    »Und Ihr versteht es nicht?«
    »Wir sprechen hier nur Okzitanisch«, sagte die Wirtin, »wie Ihr auch, Moussu, nur eben mit anderen Worten und einem anderen Akzent. Wißt, kein Bursche und kein Mädchen in dieser Straße versteht das Französisch aus Frankreich, weiß es zu lesen, geschweige zu schreiben. Ich allerdings«, sie richtete sich stolz auf, »ich kenne meine Zahlen.«
    »Na, welche Wirtin nicht!« entgegnete ich lachend. »Aber Gevatterin, sagt mir doch freiheraus, daß Ihr mich als Dolmetsch für den normannischen Baron haben wollt.«
    »Das ist es!« rief die Wirtin.
    »Ich folge Euch«, sagte ich, schob die Dralle zur Tür hinaus und schloß sie hinter mir, glücklich darüber, Samsons Blick zu entwischen.
    »Der Baron«, flüsterte mir die Wirtin zu, »heißt Caudebec. Bei der heiligen Jungfrau, mein edler Moussu, hört auf, mich zu kneifen, ich bin nicht Brotteig, der so geknetet werden muß.«
    »Ist es meine Schuld, wenn Eure Treppe so finster ist? Muß ich mich da nicht festhalten?«
    »Aber, aber! beim heiligen Joseph! haltet Euch sonstwo fest! Ja doch, nun erkenne ich: Ihr seid ein braver Christ und keiner von den üblen Ketzern, die uns unsere Tänze, unsere Spiele und Heiligenfeste verbieten möchten. Die Pest soll diese Mucker holen!«
    »Wie heißt dieser Normanne?« fragte ich, nicht gewillt, ihr Erwiderung zu tun. Statt dessen gab ich ihr Küsse auf den Hals und den Brustansatz.
    »Caudebec. Merkt Euch den Namen gut: Caudebec. Der Herr hält sich für so vornehm, daß er meint, alle Welt müsse ihn kennen.«
    »Caudebec!« sagte ich.
    »Ihr seid auch ein Chaudebec, ein hitziger Schnäbler!« Sie lachte und wand sich. »Bei allen Heiligen, Eure Lippen und Hände sind überall! Ihr bringt mich um mit Euren Küssen! Gebt gütigst Einhalt! Mich erwartet, der frommen Pilger wegen, in der Küche viel Arbeit!«
    Doch da ich nicht Anstalten machte, ihr zu gehorchen, weil ich spürte, wie sehr ihr Verdruß nur vorgetäuscht war, versetzte sie mir einen Rippenstoß, der mich zu Fall brachte, und sie mit, so fest hatte ich sie umarmt; wir stolperten die letzten Stufen hinab, purzelten hin mit lautem Krach, während im Saal unter den Pilgern Schweigen herrschte, weil gerade ein Mönch das
benedicite
beendete. Unsere Pilger, in nicht gar großer Sammlung, wiewohl andachtsvoll dreinblickend, schielten schon auf die Teller und harrten nur eben darauf, daß ein »Amen« sie von diesem Latein befreie; und wie ihnen nun die Wirtin und ich so plötzlich vor die Füße rollten, begannen alle zu lachen.
    »Ruhe!« schrie mit Donnerstimme Baron Caudebec und schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte aus Eichenholz. »Schämt ihr euch nicht, mit eurem Gelächter das heilige Gebet zu stören, nur weil ein Weib vor euren Augen hinfällt? Potz Daus! benimmt sich so ein Pilger, der frommen Sinnes unterwegs nach Rom ist? Ihr zeigt euch ja verdorbener als die Pariser Gaukler. Ruhe! sag ich. Wer an dieser Tafel das Maul aufreißt, solange das Gebet gesprochen wird, dem hau ich den Kopf in Stücke!«
    Da trat Stille ein, und der Baron befahl:
    »Bring es zu Ende, Mönch!«
    »Aber … ich bin am Ende«, sagte der Mönch.
    »Amen!« schrie da Baron Caudebec, und alle anderen riefen gleichfalls »Amen«, so laut, daß die Herberge bebte. Hierauf machten sie sich wie ausgehungerte Wölfe über die Fleischtöpfe her, schlangen tapfer Bayonner Schinken, gebratenes Perlhuhn, Trüffelomelette, Bigorrer Bratwurst, Wildbachforelle und eine Menge anderer Gerichte, für welche die Herberge
Zu den zwei Engeln
berühmt war. Und während die Pilger die Kinnladen eifrig betätigten, eilten ein Dutzend Serviermädchen von dem einen zum anderen und gossen lachend, dabei keck sich windend, aus ihren Krügen schwallweise von unseren guten Guyenne-Weinen in die gierigen Becher.
    »Da seht«, sagte die Wirtin, unterdessen sie sich vom Boden erhob und ihr Mieder ordnete, »da seht (und ihr Auge schweifte befriedigt über die Tafel), was das für scharfe Zähne und für ausgetrocknete Kehlen sind!«
    »Und was für dicke Zahlen morgen auf Eurer Schiefertafel, Gevatterin«, erwiderte ich lachend und klopfte mir den Staub ab.
    »Scht, edler Moussu«, sagte die Wirtin, den Mund nah meinem Ohr, obwohl das Okzitanische unseren Gästen nicht im mindesten geläufig war. »Diese braven Normannen dünken
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