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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh
Autoren: C. E. Lawrence
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einsamen Marmorsockel, wachte mit traurigem Blick der Engel.

KAPITEL 78
    Als Lee das Gebäude erreichte, rannte er, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Steintreppe hinauf. Er keuchte heftig. Der große Turm links des steinernen Torbogens war vermutlich die Kapelle. Das niedrigere Gebäude mit mehreren kleinen Türmen auf der rechten Seite musste demnach das Krematorium sein. Die Lichter, die er gesehen hatte, kamen von dort, und so wandte er sich nach rechts und lief den Steingang entlang. Die schwere Holztür war zu, aber als er energisch an ihrem Messingknauf drehte, ging sie auf. Die Eingangshalle war dunkel, durch eine offene Tür am Ende der Halle sah er jedoch Licht dringen. Der Regen draußen wurde stärker und prasselte laut auf das Kupferdach des Gebäudes.
    Er erinnerte sich, dass der Mörder ein Messer hatte, und wünschte sich, Detective Butts wäre bei ihm. Instinktiv griff er in seine rechte Tasche nach seinem Handy – und stellte fest, dass er es auf dem Boden des Wagens hatte liegen lassen. Ich bin so ein Idiot, dachte er und überlegte kurz, noch einmal zurückzugehen und es zu holen. Aber das Auto stand zu weit weg, und seine Kräfte ließen nach. Der Mörder wusste nicht, dass er den Unfall überlebt hatte. Wenn Lee ihn überrumpelte, konnte er François vielleicht befreien. Wenn er hingegen wartete – ihn schauderte bei dem Gedanke, was dann vielleicht passierte. François konnte natürlich schon tot sein. Doch er musste versuchen, ihn zu retten.
    Auf Zehenspitzen schlich er auf die offene Tür zu. Der Regen nahm noch einmal an Stärke zu, und Windstöße peitschten ihn von Westen her gegen die Fensterscheiben. Lee war dankbar für diesen Wolkenbruch. Man hörte nichts außer dem hämmernden Regen, was ihm möglicherweise dabei half, sich unbemerkt an den Mann heranzuschleichen.
    Schon fast an der Tür, sah er eine Treppe, die in eine Art Keller führte. Es lief ihm kalt über den Rücken, als ihm klar wurde, dass dort wahrscheinlich das Krematorium war. Er schlich die Stufen hinunter, und von unten schlug ihm Hitze entgegen. Ihm wurde schwindelig, und er stolperte. Er griff nach dem hölzernen Handlauf, fing sich wieder und ging weiter die Treppe hinunter. Fast unten angekommen, hörte er neben dem Geprassel der Regentropfen noch ein anderes Geräusch: das Tosen von Flammen. Er roch, dass etwas brannte. Er geriet in Panik. Alle Vorsicht vergessend, sprang er die letzten beiden Stufen in einem Satz hinunter.
    Der Raum vor ihm war riesig und höhlenartig, hatte Gewölbedecken aus Stein und einen glatten Kachelboden. Doch was seine Aufmerksamkeit auf sich zog, war der Ziegelofen im hinteren Teil des Raums. Feuer loderte darin, und eine groß gewachsene Gestalt beugte sich über ein einzelnes unheimliches Schubfach aus Metall, das mit dem Ofen verbunden war, der Stahl war geschwärzt und rußverschmiert. Lee verlor keine Zeit mit Risikoabwägung. Mit einem Sprint legte er die wenigen Meter zwischen ihnen zurück, stürzte sich auf die Gestalt und riss sie wie bei einem Rugby-Angriff um.
    Der Mörder ging schwer zu Boden, schlüpfrig wie ein Aal entwand er sich jedoch Lees Griff und war blitzschnell wieder auf den Füßen. Lee grapschte nach seinen Knöcheln und erwischte ihn am Hosenbein, aber sein Gegner stach mit einem Messer nach seinem Arm, es schlitzte ihm den Ärmel auf und traf ihn ins Handgelenk. Lee schrie auf, zog den Arm weg und rollte sich außer Reichweite des Messers. Gott sei Dank war die Wunde nicht tief.
    Taumelnd kam er auf die Füße und sah seinem Feind direkt ins Gesicht. Ihm fiel auf, wie bleich er war. Groß, mager und fast leichenblass, glich er wirklich einem Vampir. Der einzige Farbtupfer in seinem Gesicht waren die blutroten Lippen, die voll und sinnlich waren. Mit seinem schwarzen Cutaway, der gestärkten weißen Weste und der gestreiften Röhrenhose war er gekleidet wie ein Leichenbestatter des 19. Jahrhunderts. Er war jünger, als Lee erwartet hatte. Seinem glatten Gesicht nach zu urteilen, war er nicht viel älter als François.
    Zu seiner Überraschung lächelte der junge Mann. »Sie kommen zu spät, wissen Sie.« Seine Aussprache war sonderbar geziert, als versuche er, einen altmodischen englischen Akzent nachzuahmen.
    Lee blickte an ihm vorbei und sah François auf dem Metallschubfach liegen. Seine Augen waren geöffnet, aber er wirkte benommen. Er war eindeutig betäubt worden.
    »Lassen Sie ihn gehen«, sagte Lee.
    »Ach, und dann – wollen Sie den Staatsanwalt
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