Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In letzter Sekunde

In letzter Sekunde

Titel: In letzter Sekunde
Autoren: Boris Pfeiffer
Vom Netzwerk:
Diamant.  Entschlossen, sich den Kuckuck aus nächster Nähe nicht entgehen zu lassen, stieß Justus die Tür ganz auf und trat in die Kammer. Der geschnitzte Vogel stand seitlich zu ihm. Sein Rücken war doppelt so hoch wie Justus und sein Kopf beugte sich leicht hinab. Irgendwie erinnerte er dadurch mehr an einen Dinosaurier als an einen Kuckuck.
    ›Peter hat Recht‹, dachte Justus, ›zum Glück bist du nicht lebendig. Einem Vogel deiner Größe möchte ich nämlich nicht im Dunkeln begegnen.‹  Er kicherte und sah sich um.  In der Kammer war es furchtbar eng. Neben  dem Riesenvogel blieb gerade noch genug Platz, dass Justus sich eben so an die Wand drücken konnte.  Er überlegte. Wo hätte er selbst als Uhrmacher ein Geheimnis verborgen? ›Natürlich im Kuckuck‹, dachte er. Vielleicht trägt ja der Kuckuck eine Botschaft am Körper, wie eine Brieftaube?‹ Justus machte einen vorsichtigen Schritt zur Seite und bückte sich, um die Füße des Kuckucks zu sehen.  Dabei stieß er mit dem Po gegen die Tür. Langsam schwang sie hinter ihm zu und rastete im Schloss ein. Auf einmal war es stockdunkel.  Justus schnappte nach Luft. »Oh nein«, schimpfte er, »jetzt habe ich mich selber mit einem Riesenkuckuck eingesperrt. Dass das ausgerechnet mir passieren muss.« Das Ganze war ihm furchtbar peinlich. »Mr Pim wird wütend sein, Bobs Vater genauso, und Peter und Bob lachen sich einen Ast, wenn sie mich so sehen!«  Justus schüttelte den Kopf. Natürlich wäre es das Leichteste gewesen, um Hilfe zu rufen. Aber diese Blöße wollte er sich nicht geben. Jedenfalls nicht, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ.  Also beschloss Justus, erst einmal selbst sein Glück zu probieren. Sorgsam tastete er die Tür hinter sich nach einem Griff ab. Normalerweise hatten Türen schließlich auf beiden Seiten Griffe.  Vielleicht gelang es ihm ja so, unbemerkt wieder hinauszuschlüpfen?  Doch stattdessen fing es plötzlich vor ihm an zu rumpeln. Eine Art Erdbeben schien sich in der Dunkelheit auszubreiten. Der Boden und die  Wänden zitterten, und ein schleifendes Geräusch war zu hören.  Justus Jonas öffnete den Mund, um zu schreien.
    ›Egal, was ich gleich von den anderen zu hören kriege, ich will hier raus‹, dachte er. Doch dann erkannte er den Grund für das Erdbeben.  An der rechten Seite der Kuckuckskammer  schwang langsam eine große Doppeltür auf. Der Riesenkuckuck setzte sich in Bewegung und schob sich auf die Tür zu. »Natürlich«, Justus fasste sich an die Unterlippe, »es ist zehn! Und zu jeder vollen Stunde geht der Kuckuck nach draußen!« Gleichzeitig bemerkte Justus Jonas noch etwas. Auf dem Weg nach draußen drohte der große, hölzerne Körper des Vogels, Justus an die Wand zu quet-schen.

    Justus hielt den Atem an.  ›Wenn ich doch nur heute  Morgen ein Stück Kirschkuchen weniger gegessen  hätte‹, schoss es ihm durch  den Kopf. ›Ach, Tante  Mathilda, warum kannst du  nicht einen schlechten  Kuchen backen, den keiner  essen will?‹ Zu spät. Jedes  Gramm seines nicht eben  schmalen Körpers bebte,  während der Vogel immer  näher kam.  Justus schloss die Augen,  stieß alle Luft aus und zog  den Bauch ein, so weit er  nur konnte. Gleich war es  soweit. An seiner Nasen spitze spürte er das  geschnitzte Gefieder des Vogels, der sich vorwärts schob. Justus jubelte innerlich laut auf.  Der Kuckuck streifte ihn, aber er zerquetschte ihn nicht. Justus wäre am liebsten vor Freude in die Luft gesprungen.  Im Inneren des Kuckucks fing es an zu summen und zu brummen, dann glitt er durch die Doppeltür nach außen.  Justus versuchte, sich an dem Vogel vorbei zu schieben, aber das war unmöglich. Er konnte lediglich sehen, wie sich der Schnabel des Kuckucks öffnete und aus dem Inneren ein lang anhaltender Kuckucksruf ertönte.  Und was für ein Ruf! Das Geräusch vibrierte in Justus Schädel, als wäre er im Inneren einer singenden Waschmaschine gelandet.
    ›Das halte ich nicht lange aus‹, dachte er. ›Peinlichkeit hin oder her, noch ein paar solcher Vogelschreie, und ich werde für Monate oder Jahre mit den schlimmsten Kopfschmerzen der Welt im Bett liegen.‹  Mühsam spähte Justus an dem Kuckuck vorbei  nach draußen. Leider konnte er weder Bob noch Peter entdecken, noch gab es einen Spalt, durch den er sich irgendwie ins Freie hätte zwängen können.  Wo waren die beiden überhaupt? »Bob! Peter! Seid ihr da draußen? Ihr müsst doch inzwischen gemerkt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher