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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition)
Autoren: Dennis Lehane
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servieren?
    Es wäre schön, wenn ich keine blauen Flecken bekommen würde.
    Das sagen meistens die, dieʼs doch tun.
    Als sie die Batterymarch Station hinter sich gelassen hatten und über das North End hinwegratterten, lag das Ghetto unter ihnen – italienische Dialekte, italienische Bräuche, italienisches Essen –, und Joe musste unwillkürlich an seinen ältesten Bruder Danny denken, den irischen Cop, der das Viertel über alles geliebt, dort gelebt und auch gearbeitet hatte. Danny war ein Baum von einem Mann, der alle um Haupteslänge überragte. Er war ein erstklassiger Boxer gewesen, ein ausgezeichneter Cop und furchtlos obendrein. Er hatte mitgeholfen, die Bostoner Polizeigewerkschaft aufzubauen, und war schließlich auch ihr Vizepräsident geworden, doch am Ende hatte ihn das Schicksal aller Polizisten ereilt, die am Streik im September 1919 teilgenommen hatten – mit einem Mal war er arbeitslos gewesen, ohne Chance auf Neueinstellung und Persona non grata im Vollzugsdienst an der gesamten Ostküste. Damit hatten sie ihn gebrochen, so jedenfalls hieß es, und schließlich war er nach Tulsa, Oklahoma, gezogen, in ein Schwarzenviertel, das während eines Aufstands vor fünf Jahren niedergebrannt war. Seither hatte Joe nur gerüchteweise gehört, wo sich Danny und seine Frau Nora mittlerweile aufhalten sollten – in Austin, Baltimore, Philadelphia.
    Früher hatte Joe seinen Bruder bewundert. Dann hatte er ihn gehasst. Inzwischen dachte er nur noch selten an ihn, doch wenn, dann musste er zugeben, dass ihm Dannys Lachen fehlte.
    Am anderen Ende des Wagens bahnte sich Emma Gould den Weg zu den Türen. Durch die Fenster sah Joe, dass sie gerade in die City Square Station in Charlestown einfuhren.
    Charlestown. Kein Wunder, dass die Pistole in seiner Hand sie keine Sekunde lang aus der Fasson gebracht hatte. In Charlestown rührten sich die Leute sogar mit ihren 38ern Zucker und Sahne in den Kaffee.
    Er folgte ihr bis zum Ende der Union Street. Vor einem einstöckigen Haus bog sie nach rechts ab, und als Joe ebenfalls die Gasse hinter dem Haus betrat, fehlte plötzlich jede Spur von ihr. Er sah sich um – lauter einstöckige Schuhkartons mit verrottenden Fensterrahmen und Teerpappeflicken auf den Dächern. Sie konnte in jedem der Häuser verschwunden sein, doch sie hatte die letzte Querstraße der Siedlung gewählt. Weshalb er annahm, dass sie in das blaugraue Haus gegangen war, vor dem er jetzt stand. Sein Blick fiel auf eine schwere, im Boden eingelassene Tür aus Stahl, die offenbar in den Keller führte.
    Ein paar Meter weiter befand sich ein Holztor. Da es verschlossen war, zog er sich daran hoch und sah hinüber auf eine weitere, noch schmalere Gasse, leer bis auf ein paar Mülltonnen. Er ließ sich wieder herunter und kramte in der Hosentasche nach einer der Haarnadeln, ohne die er selten das Haus verließ.
    Eine halbe Minute später stand er hinter dem Tor und wartete.
    Es dauerte nicht lange. Um diese Tageszeit – Feierabend – musste man nie lange warten. Er hörte, wie sich Schritte näherten. Es waren zwei Männer, die sich über den letzten Versuch unterhielten, im Flugzeug den Atlantik zu überqueren; Wrack und Pilot blieben weiterhin unauffindbar. Eben war die Maschine noch in der Luft gewesen, kurz darauf spurlos verschwunden. Ein Klopfen, und ein paar Sekunden später hörte Joe, wie einer der Männer sagte: »Hufschmied.«
    Die Eisentür öffnete sich mit einem Quietschen und wurde gleich wieder geschlossen und verriegelt.
    Joe sah auf die Uhr und wartete genau fünf Minuten, ehe er hinter dem Holztor hervorkam und ebenfalls an die Tür klopfte.
    Eine gedämpfte Stimme sagte: »Was?«
    »Hufschmied.«
    Ein dumpfes Knarren drang an seine Ohren, als die Tür entriegelt wurde. Joe zog sie auf und schloss sie über sich, bevor er eine enge Stiege hinunterkletterte. Unten angekommen, stand er vor der nächsten Tür. Sie wurde geöffnet, kaum dass er die Hand nach der Klinke ausgestreckt hatte. Ein alter, kahlköpfiger Kerl mit Blumenkohlnase, über dessen Wangen sich jede Menge geplatzter Äderchen zogen, winkte ihn mit finsterer Miene herein.
    Es war ein unverputzter Kellerraum, in dessen Mitte ein Tresen auf dem nackten Boden stand. Fässer dienten als Tische, man saß auf Stühlen aus billigstem Kiefernholz.
    Joe hockte sich ans Ende der Bar, nur wenige Meter von der Tür entfernt. Eine Frau mit fetten, nachgerade schwanger wirkenden Armen servierte ihm warmes Bier, das irgendwie nach Seife
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