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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition)
Autoren: Dennis Lehane
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Eichenholzverkleidung in Brand gesetzt. Es wurde sogar gemunkelt, dass Albert die verkohlten Überreste gekauft, auf Vordermann gebracht und die wieder voll funktionstüchtige Telefonzelle nun in seinem Arbeitszimmer auf Ashmont Hill stehen hatte.
    »Die Kleine gehört also Albert.« Der Gedanke, dass sie womöglich bloß eine Gangsterbraut wie so viele war, traf Joe wie ein Schlag in die Magengrube. Er hatte bereits davon geträumt, wie sie zu zweit in einem gestohlenen Wagen unter rotem Himmel gen Mexiko brausten, losgelöst von Vergangenheit und Zukunft, immer dem Sonnenuntergang entgegen.
    »Ich habe sie dreimal zusammen gesehen.«
    »Ach, jetzt sogar schon dreimal?«
    Paolo blickte auf seine Finger, als wollte er nachzählen. »Ja.«
    »Und wieso arbeitet sie dann als Bedienung in Alberts Spielhölle?«
    »Was soll sie denn sonst machen?«, gab Dion zurück. »Sich aufs Altenteil zurückziehen?«
    »Nein, aber –«
    »Albert ist verheiratet«, sagte Dion. »Wer weiß schon, wie schnell er seine Flittchen wechselt?«
    »Wie kommst du darauf, dass sie so eine ist?«
    Langsam schraubte Dion den Verschluss von einer Flasche kanadischem Gin, während er Joe mit leeren Augen musterte. »Keine Ahnung. Für mich war sie bloß irgendein Mädchen, das uns die Kohle eingetütet hat. Ich kann mich nicht mal erinnern, welche Haarfarbe sie hatte.«
    »Dunkelblond. Fast schon hellbraun.«
    »Die Kleine gehört Albert.« Dion schenkte ihnen drei Gläser ein.
    »Sieht so aus«, sagte Joe.
    »Schlimm genug, dass wir ausgerechnet seinen Laden ausgeraubt haben. Also komm bloß nicht auf die Idee, dir auch noch seine Kleine unter den Nagel zu reißen, kapiert?«
    Joe schwieg.
    »Kapiert?«, wiederholte Dion.
    »Kapiert.« Joe griff nach seinem Drink. »Überhaupt kein Problem.«
    Während der nächsten drei Abende ließ sie sich jedenfalls nicht im Shoelace blicken. Das wusste Joe ganz sicher – er war nämlich jede Nacht dort gewesen und bis ganz zum Schluss geblieben.
    Aber Albert schaute vorbei. Wie so oft trug er einen seiner eierschalenfarbenen Nadelstreifenanzüge, als wären sie nicht in Boston, sondern in Lissabon, dazu einen braunen Fedora, der zu seinen braunen Schuhen passte, die wiederum perfekt mit den braunen Nadelstreifen harmonierten. Wenn der erste Schnee fiel, pflegte er braune Anzüge mit eierschalenfarbenen Nadelstreifen, einen eierschalenfarbenen Hut und weiß-braune Gamaschen zu tragen. Und wenn der Februar kam, stieg er stets auf dunkelbraune Anzüge, dunkelbraune Schuhe und schwarzen Hut um, doch für Joe spielte das keine Rolle. Es wäre ein Klacks gewesen, ihn in einer dunklen Gasse aus zwanzig Meter Entfernung mit einer billigen Knarre zu erschießen. Man hätte nicht mal Laternenlicht benötigt, um erkennen zu können, wie sich das Weiß seines Anzugs rot verfärbte.
    Albert, Albert, dachte Joe, als Albert White am drit-ten Abend an seinem Barhocker vorbeiging. Ich würde dich umlegen, ohne auch nur einen zweiten Gedanken daran zu verschwenden. Was mir fehlt, ist allein der Killerinstinkt.
    Ein weiteres Problem bestand darin, dass Albert nur selten dunkle Gassen aufsuchte, und wenn, hatte er gleich vier Bodyguards dabei. Und selbst wenn es einem gelang, ihn trotzdem zu töten – und Joe fragte sich, warum, zum Teufel, er überhaupt mit dem Gedanken spielte –, hatte man damit allenfalls Albert Whites Imperium ins Wanken gebracht, in dem auch die Polizei, die Italiener, die jüdische Mafia in Mattapan und diverse seriöse Geschäftsleute als stille Teilhaber fungierten, darunter Bankiers und Investoren mit Beteiligungen an Zuckerrohrplantagen in Kuba und Florida. Und solche Beziehungen in einer kleinen Stadt zu zerstören war etwa so, als würde man Raubtiere mit blutigen Händen füttern.
    Albert musterte ihn. Musterte ihn auf eine Art und Weise, dass Joe unwillkürlich dachte: Er weiß Bescheid. Er weiß, dass wir seinen Laden ausgeraubt haben. Dass ich scharf auf seine Kleine bin.
    Doch Albert sagte nur: »Hast du mal Feuer?«
    Joe riss ein Streichholz an und hielt es ihm entgegen.
    Rauch schlug ihm ins Gesicht, als Albert das Streichholz ausblies. »Danke, Junge«, sagte er und ging weiter, sein Teint so hell wie sein Anzug, seine Lippen so rot wie das Blut, das durch seine Adern strömte.
    Am vierten Tag nach dem Überfall folgte Joe einer Eingebung und machte sich noch einmal zum Möbellager am Hafen auf. Beinahe hätte er sie verpasst. Offenbar hatten die Sekretärinnen zur selben Zeit
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