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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition)
Autoren: Dennis Lehane
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Schluss, aus.
    Er ließ die erste Fessel einrasten. »Keine Angst, ich ziehe sie nicht zu fest an.«
    »Machen Sie sich keine Umstände.« Sie warf einen Blick über die Schulter. »Aber es wäre schön, wenn ich keine blauen Flecken bekommen würde.«
    Du lieber Himmel.
    »Wie heißen Sie?«
    »Emma Gould«, sagte das Mädchen. »Und Sie?«
    »Nummer eins.«
    »Bei den Girls? Oder bloß bei den Cops?«
    Er konnte nicht mit ihr herumplänkeln und gleichzeitig den Raum im Auge behalten, und so drehte er sie zu sich um und zog einen Knebel aus der Tasche. Die Knebel waren Socken, die Paolo in dem Woolworth’s geklaut hatte, wo er sonst arbeitete.
    »Sie wollen mir eine Socke in den Mund stopfen?«
    »Ja.«
    »Eine Socke? In meinen Mund?«
    »Brandneu und unbenutzt«, sagte Joe. »Ehrenwort.«
    Ihre hochgezogene Augenbraue hatte dieselbe Farbe wie ihr Haar, das wie angelaufenes Messing schimmerte und weich wie Hermelin aussah.
    »Ehrlich, ich würde Sie nicht anlügen«, fuhr Joe fort, und in diesem Moment fühlte es sich tatsächlich wie die Wahrheit an.
    »Das sagen meistens die, die’s doch tun.« Sie öffnete den Mund wie ein Kind, das den Widerstand gegen einen Löffel bittere Medizin aufgab, und Joe überlegte, was er noch sagen konnte, aber ihm wollte ums Verrecken nichts einfallen. Vielleicht konnte er ihr ja eine Frage stellen. Nur, um noch mal ihre Stimme zu hören.
    Ihre Augen traten leicht hervor, als er ihr die Socke in den Mund drückte. Als sie das Klebeband in seiner Hand sah, schüttelte sie den Kopf und versuchte, die Socke auszuspucken, doch darauf war er vorbereitet, presste ihr die Hand auf den Mund und strich die Enden auf ihren Wangen glatt. Sie blickte ihn an, als wäre die ganze Situation bis zu diesem Zeitpunkt völlig unverfänglich – ja, sogar reizvoll – gewesen, so, als hätte er mit einem Mal den Bogen überspannt und alles verdorben.
    »Fünfzig Prozent Seide«, sagte er.
    Abermals zog sie die Augenbraue hoch.
    »Die Socke«, sagte er. »Und jetzt da rüber.«
    Sie kniete neben Brendan Loomis nieder, der Joe die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen hatte, keine einzige Sekunde lang.
    Joe ließ den Blick in aller Ruhe über die Tür zum Geldzählraum und über das Vorhängeschloss schweifen, um ganz sicherzugehen, dass Loomis es auch mitbekam. Dann sah er Loomis in die Augen, der dumpf zurückstierte, während er darauf wartete, was nun folgen würde.
    Joe hielt seinem Blick stand. »Lasst uns abhauen, Jungs«, sagte er. »Die Sache ist gelaufen.«
    Loomis schloss einmal die Augen, ganz langsam, und Joe betrachtete das als Friedensangebot – zumindest potentiell. Und dann machten sie sich im Eiltempo aus dem Staub.
    Sie fuhren am Hafen entlang. Das harte Blau des Himmels war von harten gelben Streifen durchsetzt. Möwen kreisten kreischend über dem Wasser. Der Ausleger eines Schiffskrans schwang scharf über die Straße und wieder zurück, just in dem Moment, als Paolo über seinen Schatten fuhr. Hafenarbeiter, Schauerleute und Lastwagenfahrer standen neben ihren Paletten und Kisten in der Kälte und rauchten. Ein paar von ihnen warfen Steine nach den Möwen.
    Joe kurbelte sein Fenster herunter, genoss den kalten Fahrtwind im Gesicht. Die Luft roch nach Salz, Fischblut und Benzin.
    Dion Bartolo wandte sich zu ihm um. »Wieso hast du die Puppe gefragt, wie sie heißt?«
    »Wollte mich bloß unterhalten.«
    »Und so, wie du sie gefesselt hast, hätte man meinen können, du wolltest ein Tänzchen wagen.«
    Joe hielt den Kopf aus dem Fenster und sog die stinkende Luft in die Lungen, so tief es nur eben ging. Paolo verließ das Hafengelände und steuerte den Wagen Richtung Broadway; der Nash Roadster machte locker dreißig Meilen die Stunde.
    »Ich habe die Kleine schon mal gesehen«, sagte Paolo.
    Joe zog den Kopf wieder ein. »Wo?«
    »Keine Ahnung. Irgendwo. Aber ich bin mir ganz sicher.« Der Nash machte einen kleinen Satz, als sie auf den Broadway fuhren, und sie schaukelten in ihren Sitzen. »Du kannst ja ein Gedicht für sie schreiben.«
    »Geniale Idee«, sagte Joe. »Wie wär’s, wenn du mal vom Gas gehst, statt hier durch die Gegend zu rasen, als hätten wir was ausgefressen?«
    Dion legte den Arm auf die Sitzlehne und wandte sich zu Joe um. »Ob du’s glaubst oder nicht, er hat tatsächlich mal ein Gedicht für ein Mädchen geschrieben.«
    »Ist nicht wahr!«
    Paolo warf einen Blick in den Rückspiegel und nickte feierlich.
    »Und was ist passiert?«
    »Nichts«,
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