Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

In der Mitte des Lebens

Titel: In der Mitte des Lebens
Autoren: Margot Käßmann
Vom Netzwerk:
entschieden haben. Die Doppelanforderung empfinden sie auf gemeinsame Weise. Es kann für eine berufstätige Frau leichter sein, sich
     abzugrenzen, während eine nicht Berufstätige ständig verteidigen muss, warum sie nicht rund um die Uhr zur Verfügung steht.
    Das Altwerden der eigenen Eltern hat ja etwas Zweifaches. Zum einen steht die Frage der Verantwortung im Raum. Wer wird sich kümmern, wer wird pflegen, wenn ein selbstständiges Leben nicht mehr möglich ist? Zum anderen ist es die Vorbereitung auf den endgültigen Abschied und damit auch der eigene Übergang in die Phase, selbst die älteste Generation zu sein.
    Die Frage der Pflege war früher ebenso wie die Frage der Versorgung der Kinder schlicht dadurch gelöst, dass die in der Regel nicht berufstätigen
     Frauen diese Pflege übernahmen. Die Sache mit der Berufstätigkeit hat sich geändert – aber: »Die Pflege bleibt weiblich«. 8 Etwa 236 000 Menschen arbeiteten Ende 2008 bei ambulanten Pflegediensten. 88 Prozent der Altenpfleger, Krankenschwestern,
     Zivildienstleistenden und ungelernten Hilfskräfte sind laut Pflegestatistik 2007 des Statistischen Bundesamtes Frauen.
    Mehr als zwei Drittel von ihnen sind in Teilzeit erwerbstätig. Die Nachfrage nach Pflegekräften steigt stetig, allein von 2005 bis 2007 um sieben Prozent. In Deutschland gibt es 2,25 Millionen Pflegebedürftige. Davon werden 68 Prozent zu Hause versorgt, eine Million ausschließlich von ihren Angehörigen. Auch unter ihnen stellen Frauen – zum Beispiel Töchter, Schwiegertöchter, Enkelinnen, Nichten – die übergroße Mehrheit. Gut 500 000 Patienten werden von den 11 500 ambulanten Pflegediensten betreut, die es in Deutschland gibt. Für das Jahr 2030 rechnen Fachleute mit mehr als drei Millionen Pflegebedürftigen.
    Und »ins Heim« möchten die wenigsten gehen. Das hat sich in Deutschland in den vergangenen Jahren stark verändert. Bei meinen Besuchen in Alten- und Pflegeheimen höre ich immer wieder, wie sehr das auch die Einrichtungen belastet. Gab es früher Heime in die Menschen kamen, als sie noch ziemlich eigenständig waren, wurden Männer und Frauen dort gemeinsam alt, so kommen heute fast ausschließlich Menschen, die dement oder voll pflegebedürftig sind. Dadurch entfällt oft, was es früher an Freizeitaktivitäten gab, gemeinsames Kochen, Singen,Spazierengehen. Ambulante Betreuungseinrichtungen, in die Ältere stundenweise gehen, ersetzen das teilweise. Gab es für das Altenheim früher ein Konzept des Miteinander-Lebens, ist daraus heute in der Regel ein reines Pflege- bzw. Betreuungskonzept geworden.
    Ich habe allergrößtes Verständnis dafür, dass Menschen bis zuletzt in der vertrauten Umgebung bleiben wollen. Aber es verändert etwas. Für viele ist es auch mit großer Einsamkeit verbunden. Wenn kein Nachbar mich mehr kennt, weil ich mich gar nicht aus dem Haus bewegen kann, wird mich auch niemand besuchen. Ich halte es für eine der größten Herausforderungen, wie wir mit der Isolation vieler älterer Menschen umgehen.
    Für die erwachsenen Kinder ist das eine große Belastung, nicht erst, wenn die Pflegebedürftigkeit kommt. Viele leiden unter einem schlechten Gewissen, weil sie sich nicht genügend kümmern, weil so viele andere Verpflichtungen so viel Kraft fordern, weil in der mobilen Gesellschaft die Entfernungen oft groß sind. Solche Gewissensbisse kenne ich sehr gut. Eine meiner Schwestern hat meine Mutter inzwischen bei sich aufgenommen, als es für sie schwierig wurde, allein zu leben. Seitdem versorgt sie mit ihrem Mann unsere Mutter liebevoll und geduldig; sie ist eingebunden in das Familienleben, behält aber eine gewisse Selbstständigkeit. Das ist für die anderen Kinder und Enkelkinder eine enorme Entlastung, für die wir ungeheuer dankbar sind. Aber es bleibt auch in einer so guten Betreuungssituation das schlechte Gewissen, nicht oft genug zu besuchen, anzurufen, zu schreiben und das Wissen, dass eine von uns ganz besonders belastet ist. Das ist ein Dilemma, aus dem es offenbar keinen Ausweg gibt und das sich in den unterschiedlichsten Konstellationen zeigt.
    Gleichzeitig ist der Anblick der hilfloser werdenden Eltern auch bitter. Ist das die Frau, die derart energisch durchgreifen konnte? Ist das der Mann, der so stolz und selbstbewusst auftreten konnte? Wenn unsere Eltern hilfloser werden, geraten unsere Bilder von ihnen ins Wanken. Und fragen natürlich auch unsere Bilder von uns selbst an.
    Simone de Beauvoir hat ein sehr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher