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In der Mitte des Lebens

Titel: In der Mitte des Lebens
Autoren: Margot Käßmann
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darüber, dass die Eltern auch froh sind über die Ablösung:

    »Ich kann es in gewisser Weise verstehen, dass die Jungen es mit gemischten Gefühlen sehen, wenn Mami und Papi die Befreiung vom Elternlos feiern,
statt in Trauerstarre zu verfallen. Aber so ist es, meine Lieben! Es war schön mit euch, ich bedanke mich für alles, kein Jahr davon möchte ich missen,
ihr werdet mir fehlen. Aber derzeit blicke ich freudig nach vorn: nicht mehr täglich abends kochen, keine Berge von Wäsche mehr, keine
Einkaufsorganisation, kein Warten mehr, dass endlich die Dusche wieder frei wird …« 2

    Offenbar also kann das Ende der Zeit der Kindererziehung auch als große Befreiung erlebt werden. Ich selbst bin da hin- und hergerissen. Einerseits trauere ich um die Zeiten des großen Haushalts, in denen der Kühlschrank immer dicht gefüllt war, in denen es eigentlich nicht darauf ankam, ob zwei Schulfreundinnen zusätzlich zum Essen mitkamen, in denen die Betten im Haus alle gebraucht wurden. Manchmal gehe ich heute mit Wehmut durch die Zimmer meiner vier Töchter. Sie haben alle ein Zimmerbehalten, die Jüngste wohnt auch noch bei mir, aber es ist anders geworden. Sie kommen halt ab und an zu Besuch, haben ihre eigene Wohnung, in der sie sich wohlfühlen, haben ihre Lieblingsmöbel und Lieblingsstücke mitgenommen, zurückgelassen ist das, was nicht so wichtig ist, nicht dringend gebraucht wird. Und doch bin ich froh, dass sie ihr eigenes Leben leben, zufrieden sind, Partner gefunden haben und Themen, die sie interessieren. Und ich bin auch manchmal froh, entlastet zu sein von der pausenlosen Verantwortung. Keine Schulelternabende mehr, keine Entschuldigungen schreiben, nicht Sorge tragen, dass Klavier geübt wird und die französischen Vokabeln gekonnt werden. Keine Deutschaufsätze mehr gegenlesen, nicht mehr an den Impftermin denken, und so weiter … Und abends mal nach Hause kommen, niemand erwartet mich dringend. Sich einfach in den Sessel sinken lassen, ein Glas Wein trinken und die Ruhe genießen. Vielleicht ist das schlicht auch eine Altersfrage. Die Natur hat es doch irgendwie gut eingerichtet, oder sagen wir die Schöpfung, dass wir die manchmal ja auch nervenaufreibende Zeit der Kindererziehung mit Mitte 50 hinter uns haben. Schlaflose Nächte wegen Bauchschmerzen oder weil die Kinder nicht pünktlich nach Hause kommen jedenfalls erspare ich mir ganz gern!
    Ich bemerke an mir selbst auch mit Interesse, dass ich mich in dieser Lebensphase jenseits der Mitte wieder stärker Menschen annähere, die keine eigenen Kinder haben. Wer kleine Kinder hat, ist anders gefordert als Menschen ohne Kinder, da gibt es Phasen, in denen wenig gemeinsam gestaltet werden kann. Dabei hat mich der Gedanke des Zoologen Clinton Richard Dawkins bewegt, der beschreibt, dass biologische Eltern Gene weitergeben, klar, dass aber die Gesellschaft insgesamt, also auch die Kinderlosen, »Meme« weitergibt: ein Bewusstsein für die Kultur und Tradition, für die Werte einer Gesellschaft. Mich fasziniert dieser Gedanke, weil er biologische Eltern und solche, die es nicht werden konnten oder wollten, einander in einer gemeinsamen Aufgabe näher bringt. Wir sind gemeinsam verantwortlich für dieWeitergabe der Meme, der Kultur, der Tradition, der Werte unserer Gesellschaft, ja, auch unseres Glaubens. Das wird noch bewusster, wenn die eigenen Kinder in ein eigenständiges Leben aufbrechen.
    Gewiss lässt Loslassen sich nicht verordnen. Und wenn Eltern beim Abschied von der Lebensphase mit ihren Kindern Trauer überfällt, ist das auch nicht locker wegzureden. Denn in der Tat geht ein Lebensabschnitt unwiederbringlich vorbei. Es hilft nichts, das zu ignorieren. Aber es kann eine Balance gefunden werden, wenn außer dem Verlust auch die neue Freiheit gesehen wird; denn es kann ja eine Freiheit entstehen, die Raum schafft für Neues. Meine Erfahrung jedenfalls ist: Je mehr ich loslassen konnte, desto stärker haben sich meine Kinder auch wieder angenähert, bis dahin, dass nach Jahren getrennter Urlaube meine vier Töchter alle samt Freunden im letzten Sommer mit nach Frankreich gekommen sind und wir 14 wunderbare und nahezu konfliktfreie Ferientage gemeinsam in einem Haus in Frankreich miteinander hatten. Ich habe das ungeheuer genossen.
    Die Geschichte vom verlorenen Sohn 3 , aus der der am Anfang zitierte Satz stammt, liest sich in dieser Lebensphase neu, finde ich. Ja, der Sohn will sein Erbe ausbezahlt bekommen. Und der Vater tut dies, offensichtlich
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